Der Samurai von Savannah
über Pumpkin Hammock fuhr und die Dosen- und Alligatorschildkröten sah, die dort unten aufgereiht lagen wie Dominosteine auf einem Holzbrett – er hätte auf sie hinunterspucken können, wenn er gewollt hätte –, und er erinnerte sich, wie er und Wheeler als kleine Jungen mit einem alten Fensterhaken Schildkröten aufgespießt hatten, und an den Geschmack der Suppe, die seine Mutter daraus gekocht hatte, und wie sie die leeren Panzer an die Südseite ihres Hauses genagelt hatten, bis sie aussah wie eine Schindelwand. Und dann kam er an Hollieway’s Meadow vorbei, wo vereinzelt Gruppen junger Eichen aus den Stümpfen der alten Bäume wuchsen, die man im Bürgerkrieg gefällt hatte, um daraus Schiffe für die Konföderierte Marine zu bauen, seine knochigen alten Knie arbeiteten hart, und der Strick lockerte sich ein Stückchen.
In einem dieser Stümpfe hatte er als Junge einmal eine Eule gefunden, ein Jungtier, das noch nicht flügge war, das Kleinste aus einer dreiköpfigen Brut. Es wäre ohnehin gestorben, die Geschwister hätten es mit ihren messerscharfen Klauen zerfetzt und mit den Schnäbeln auf seinem Kopf herumgehackt, bis es nur noch ein blutiger Klumpen gewesen wäre. Er hatte dem Vogel Fischfleisch gegeben, aber das mochte er nicht, Mäuse dagegen verschlang er gierig. Er erinnerte sich noch, wie seine Mama ihn für verrückt erklärt hatte, als er mit dem langen Messer seines Vaters eine Maus zerlegte, aber die Eule wuchs, er stutzte ihr irgendwann die Flügel, und sie war ganz vernarrt in ihn, jedenfalls bis der Hund sie eines Tages erwischte. Das musste nun sechzig Jahre her sein, und jetzt, während er durch das Tor auf die Privatstraße der Tupelo Shores Estates rollte und am Salt Air Drive links abbog, staunte er über sein Gedächtnis, über die Macht des menschlichen Erinnerungsvermögens, das ihn von seinem Fahrrad und aus der Hitze entrücken konnte in die Ferne dieser längst vergessenen Jahre. Dann aber eierte er die Einfahrt der Woosters hinauf, ein Schwarm von grünen Schmeißfliegen, der aus dem Nichts auftauchte, stürzte sich auf ihn, und der Strick zog sich sofort wieder fester. Er war zurück im Hier und Jetzt. Er schmeckte den Schweiß in seinen Mundwinkeln.
Na gut. Er würde sich erst mal eine Minute in den Schatten setzen, wo das Gras dicht und kühl war, und dann würde er Wasser aus dem Gartenschlauch trinken und sich an die Arbeit machen. Gar nicht nötig, extra Bescheid zu sagen. Sie würden ihn sowieso von drinnen sehen, seine in der Sonne blitzende Machete, und sie würden es hören, wenn er den Rasenmäher anwarf, und dann würden sie sagen: Ach, das ist ja Olmstead White, der arbeitet da draußen in der Hitze – vielleicht sollten wir ihm gleich mal ein großes Glas Limonade bringen, mit einem Schuss Wodka drin, so wie er es gerne hat.
Er machte es sich bequem, und der Strick lockerte sich ein wenig. Dann griff er nach dem Schlauch, das kalte Wasser erfrischte ihn, und er wollte anfangen zu arbeiten, aber da war wieder dieses verfluchte Stechen in der Hüfte, und der salzige Schweiß auf seiner verletzten Hand fühlte sich an wie flüssiges Feuer. Scheiß auf den Doktor, dachte er, fasste den Verband mit der gesunden Hand und ließ das Wasser darüberlaufen, bis das Salz abgewaschen war und der brennende Schmerz ein wenig nachließ. Dann nahm er die Machete und stutzte das Heckengebüsch mit kurzen, raschen, aus dem Handgelenk heraus geführten Bewegungen.
So arbeitete er wohl eine gute halbe Stunde und kam dabei langsam zu der zum Meer hin gelegenen Seite der Villa, wo hinter einem hüfthohen Türchen, das ganz von einer blauen Glyzinie überwachsen war, der Swimmingpool lag. Am Rand des Schwimmbeckens saß jemand, und das überraschte ihn – nicht nur wegen der Hitze, sondern weil die alte Dame und ihr Mann sich nicht um den Pool kümmerten, sodass er zwischen den Besuchen des Reinigungsdienstes immer grün wie ein Ententeich wurde. Das musste ihr Enkel sein, der gerade Semesterferien hatte, vermutete er. Im Laufe der vergangenen Jahre hatte er den Jungen ab und zu gesehen, wenn er im Garten herumhing, auf die Fähre wartete, wie ein Wahnsinniger in seinem roten Sportwagen die Straße zu Cribbs’ Laden hinunterbrauste – eigentlich ein ganz netter Bursche, auch wenn seine Augen zu weit auseinander standen und er das Haar so trug, wie es 1950 Mode gewesen war. Aber wirklich, und bei diesem Gedanken musste er kichern, dieser Knabe würde eine Hip-Hop-Frisur noch
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