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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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dann setzte sie ihren Wodka ab. INVASION DURCH AUSLÄNDER !, zeterte die Schlagzeile in Neun-Zentimeter-Lettern, und darunter war ein körniges Foto von Hiro, der einfältig aus dem Bild glotzte. Direkt unter seinem Kinn, wie ein Auswuchs, steckte eine Karte mit mehreren mysteriösen Schriftzeichen und einer siebenstelligen Nummer. Er wirkte verloren und hoffnungslos, und wenn sie es nicht besser gewusste hätte, hätte sie ihn auf zwölf geschätzt.
    »Ziemlich verwegener Typ, was?«, bemerkte Sandy grinsend.
    Ruth antwortete nicht. Sie las bereits die Spalten des Artikels, die eingeschobenen Kästen mit den Augenzeugenberichten von Hiros Wüten in den Ziergrotten und Blumenrabatten von Tupelo Shores Estates. Das Interview mit der Frau, die ihn nichtsahnend beherbergt hatte; die Aussage einer Nachbarin, die behauptete, der Entsprungene habe sie zu Tode erschreckt, indem er unvermittelt über ihr Grundstück rannte; den Bericht über den tödlichen Herzinfarkt eines gewissen Olmstead White anlässlich der Begegnung mit dem Verdächtigen, der ihn überdies schon einmal, drei Wochen zuvor, in seinem Haus attackiert hatte.
    »Dieser Japanerbursche sitzt ganz schön in der Scheiße, was?« Sandy grinste immer noch. Er beugte sich über die Theke und starrte Ruth durch seine langen gebleichten Locken an. All das war für ihn ein Heidenspaß.
    Ina schlürfte Weißwein mit einem Eiswürfel drin. Ihre Stimme klang heiser und dünn im Verhältnis zu ihrer Statur. »Wenn sie diesen armen Kerl nur in Ruhe ließen – ich meine, seht ihn euch doch an« – hier beugte sie sich vor und tippte mit einem lackierten Fingernagel auf das Zeitungsfoto –, »sieht der etwa gefährlich aus?«
    Ruth las gerade etwas über Sheriff Peagler, der geschworen hatte, dieser Gesetzlosigkeit so oder so ein Ende zu setzen – der Gesuchte sei ja nicht einmal amerikanischer Staatsbürger, habe also gar kein Recht, in diesem Land zu sein –, und nein, er wolle nicht ausschließen, dass dieser (Schimpfwort gestrichen) sofort erschossen werde.
    »Erst heizt man diesen Schweinebauern ordentlich ein, und dann …« Ina beendete ihren Satz nicht.
    »Genau, das meine ich ja«, sagte Sandy. »Das wird so aussehen wie eine Szene aus Ein Mann wird gejagt. « Er nahm einen Schluck von seinem Wodka-Orange. »Kennst du den? Mit Marlon Brando, Jane Fonda und Robert Redford?«
    Ruth sah zum ersten Mal auf. »Ja«, sagte sie. »Ich meine, nein. Hör mal, kann ich mir das hier mitnehmen, die Zeitung, meine ich?«
    Das Abendessen ließ Ruth an diesem Tag aus. Sie ging kurz in der Küche vorbei, wo Rico herumwuselte, diesmal unter Aufsicht des Chefkochs (heute war Armand de Bouchette da, jener Mann, der Thanatopsis House zur besten aller Künstlerkolonien gemacht hatte – jedenfalls was die Küche betraf), füllte Thermo-Essensbehälter mit pompano en papillote, artichauts au beurre noir , gedünsteten Zwergauberginen und Grillkartoffeln im eigenen Saft, dazu nahm sie sich Baguette. »Wird wohl ein romantischer Abend zu zweit, ja?« De Bouchette trat vor sie, die Kochmütze ein wenig in den Nacken geschoben, die Stirn amüsiert gekräuselt. Er war Ende fünfzig und erholte sich von einer ganzen Serie von gescheiterten Ehen, ein Mann, der gern Cognac süffelte und den weiblichen Gästen des Hauses wie zufällig an den Hintern fasste. »Mit Saxby, ja? Oder hast du vielleicht irgendwas laufen, wovon du niemand was erzählst?«
    Ruth hielt den Kopf gesenkt und hantierte mit den Essensbehältern. »Nein, ich arbeite noch, Armand. Sax kommt mich dann später abholen – falls er es rechtzeitig auf die Fähre schafft. Rasend romantisch.« Dann strahlte sie ihn mit ihrem breitesten Lächeln an, stibitzte eine Flasche Wein aus dem Regal über dem Küchentisch und rauschte davon, sodass er vergeblich nach ihrem entschwindenden Hinterteil griff.
    Es war fast sieben, als sie zum Studio zurückkam. Die Sonne ging gerade unter. Ein leichter Wind wehte vom Meer her. Alles war ganz still. Hiro würde sie nicht vor dem Morgen erwarten, und als sie sich der Lichtung näherte, überlegte sie, wie sie ihr Kommen ankündigen konnte, ohne ihn zu erschrecken. Anfangs dachte sie daran, aus sicherer Entfernung zu rufen – »Hiro, ich bin wieder da!«, oder »Ich bin’s, Ruth!« –, aber wenn irgendjemand anders sich in Hörweite befände, hätte das fatale Konsequenzen. Andererseits, wenn sie ihn nicht irgendwie warnte, würde er durchs Dach schießen wie eine Saturn-Rakete, sobald sie

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