Der Samurai von Savannah
möglichen hilfreichen Ratschläge geben. Hatte er schon in Clara Kleinschmidts Schrank nachgesehen? Im Hühnerstall des Sheriffs?
»Sie haben recht«, sagte sie schließlich, »da bin ich auch ganz sicher.« Und dann, nachdem sie bereits bis zum Fuß der Treppe gelangt war, hielt sie kurz inne und sah über die Schulter zurück. »Waidmannsheil«, sagte sie und hatte größte Mühe, dabei ernst zu bleiben, »so sagt man doch, oder?«
Ja, sie spürte es deutlich, so langsam sah die Welt für sie wieder rosig aus.
Und dann, plötzlich und ohne Vorwarnung, brach alles wieder zusammen.
Es war am Abend nach der Ankunft von Abercorn und Turco, am Abend nach einem Tag, an dem die Künstler in Thanatopsis House ihre diversen Projekte kaum hatten vorantreiben können. Jeder war zerfahren und ungeduldig, niemand konnte sich so recht konzentrieren. Den ganzen Tag hatte ein steter Ostwind geweht, und die ganze Insel wirkte wie frisch aus dem Meer getaucht. Beim Frühstück hatte Unruhe geherrscht, die Wartezeit bis zum Mittagessen war endlos erschienen, und die Cocktails – zu den Cocktails kamen alle zu früh. Aufregung lag in der Luft, eine Atmosphäre von Möglichkeit und Romantik, jenes Flair von unverbesserlicher Hoffnungsfreude, die immer mit der Aussicht auf ein rauschendes Fest verbunden ist.
Auf dem Fest – das Owen aus zweifachem Anlass organisiert hatte, sowohl um Septimas zweiundsiebzigstem Geburtstag Tribut zu zollen als auch um Peter Anserine zu verabschieden, der zurück ans Amherst College ging, um dort im Herbstsemester Vorlesungen zu halten – würde es Essen von einem Partyservice aus Savannah geben, eine Tanzkapelle und eine Freiluftbar. Ebenso wie an sämtliche Künstler der Kolonie waren Einladungen an die haut monde von Savannah und Sea Island sowie an alle Einwohner Tupelos ergangen. Sheriff Peagler und dessen Bruder Wellie – der inoffizielle Bürgermeister der Insel – wurden erwartet, zudem eine Schar Rechtsanwälte, Galeristen, Kunstmaler und blaunasige Witwen aus Tupelo Shores Estates und Darien. Aus Savannah kam ein Fotograf herüber, um für die Gesellschaftsspalte des Star über das Fest zu berichten. Und der Gewinner des Pulitzer-Preises für Lyrik, ein ehemaliger Gast der Kolonie, wollte sich telefonisch melden. Für Thanatopsis war es das Ereignis des Jahres.
Ruth hatte sich für diesen Anlass ein Kleid aufgehoben, wadenlang aus schwarzem Chiffon mit einer Seidenrüsche an der Hüfte, dazu ein Paar schwarze Pumps. Es mochte etwas warm für die Jahreszeit sein – sie hatte es eher für den Herbst gedacht –, aber es war Ende August, der Wind hatte alles ein wenig abgekühlt, und sie hatte eigentlich auch gar nichts anderes – außerdem war es immerhin ein Modell von Geoffrey Beene, auch wenn sie es spottbillig bekommen hatte. Den Nachmittag über hatte sie Hiro über Japan ausgefragt – Stimmte es, dass man für Steaks sechzig Dollar das Kilo zahlte? Kam er sich komisch vor, wenn er eine Gabel benutzte? Bezahlten sie dort wirklich Leute dafür, dass sie einen in die U-Bahn quetschten? –, und dann hatte sie ihn bald verlassen. »Ich bin morgen früh zurück«, sagte sie. »Sei brav. Ich bring dir auch ein paar gute Sachen von der Party mit.« Und auf seine unvermeidliche Frage erwiderte sie: »Bald.«
Sie nahm ein ausgiebiges Bad und widmete sich eine halbe Stunde lang ihren Nägeln. Sax und Sandy hatten vor, im Smoking zu erscheinen – die anderen würden sich mit schmalen Schlipsen und Nylonhemden behelfen. Es würde Champagner geben – und zwar guten: Bollinger und Perrier-Jouët. Kaviar und Hummer. Bretonische Austern. Ruth bereitete sich vor, als rüste sie sich für eine Schlacht, verwendete viel Zeit auf jedes Detail, strebte nach jener Perfektion, die sie unerschütterlich, unbesiegbar machen würde – und dabei war sie sich die ganze Zeit über bewusst, dass auf der anderen Seite der Wand Jane Shine dasselbe tat. Zweimal sah Saxby nach ihr, und zweimal vertröstete sie ihn. Sie rieb sich die Haarspitzen ein, trug Lidschatten und Rouge auf, schminkte sich die Augen. Als Saxby zum dritten Mal klopfte, rief sie ihm zu, er solle schon ohne sie runtergehen – sie würde nachkommen, sobald sie fertig wäre.
Die Party war seit eineinhalb Stunden im Gang, als Ruth ihren Auftritt hatte. Sie überquerte den Rasen zu den Melodien der Kapelle, die irgendeine brasilianische Musik spielte – Samba oder Bossanova oder so –, und das Gewirr der aufgeregten Stimmen wurde lauter.
Weitere Kostenlose Bücher