Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
Vom Netzwerk:
sie wolle nichts essen, und ja, es sei einzig und allein für ihn.
    Abends, wenn sie ihn allein ließ, bereitete er sich ein armseliges Mahl aus den Lebensmitteln, die sie für ihn schmuggelte – Brot und Marmelade, welker Salat, eine Tasse weißer Reis –, dann rollte er sich auf der Couch unter der dünnen Decke zusammen und träumte, so stellte sie es sich jedenfalls vor, von der Stadt der brüderlichen Liebe. Morgens wartete er immer schon auf sie, ordentlich gekleidet in das Sweatshirt der »Georgia Bulldogs« oder das karierte Baumwollhemd, das sie von Saxby ausgeliehen hatte, und im Raum hinterließ er keinerlei Spuren, da war nur er selbst und der schwache, leicht an Hefe erinnernde Geruch, den er beim Leben und Atmen verströmte. Bücher, Decke und Lebensmittel waren ordentlich verstaut, der Boden gefegt, der Kaminsims abgestaubt, Papier, Bleistifte und Kugelschreiber liebevoll auf dem Schreibtisch für sie zurechtgelegt. Und da war er selbst, ihre brave Kreatur, erwartete sie, mit einem breiten, reinen, unkomplizierten Lächeln, das in seinen Augen erstrahlte und sein großes, fröhliches Mondgesicht in Fältchen legte.
    Zu dieser Zeit arbeitete sich Ruth gerade ganz langsam, so wie eine Guerillaeinheit aus dem Gebirge herab vordringt, um erst die Provinz zu infiltrieren und dann die Hauptstadt zu belagern, zurück in eine tonangebende Position im inneren Kreis von Thanatopsis House. Seit Jane Shines Ankunft hatte sie sich bedeckt gehalten – es blieb ihr gar keine andere Wahl, denn sie konnte es nicht ertragen, im selben Raum mit ihr zu sein. Es herrschte Krieg zwischen ihnen, seitdem Jane sie an jenem ersten Abend geschnitten und Ruth damit gezwungen hatte, umständlich die Verbindung über den Iowa-Workshop zu erläutern, bis Janes Blick über die Sprungschanze ihrer Nase geschnellt war und sich auf Ruth niedergelassen hatte wie auf einem Insekt, einem beinlosen Bettler, der an ihrem kaiserlichen Rockschoß zupfte, und sie schließlich, mit einem leisen Seufzer, erwidert hatte: »Ach ja, ich glaube, jetzt erinnere ich mich an Sie – aber hatten Sie damals nicht eine andere Haarfarbe?« Ruth hatte ein oder zwei Tage gebraucht, sich eine Strategie zurechtzulegen – außerdem war sie in Gedanken ständig mit Hiro beschäftigt –, jetzt aber warf sie sich mit aller Kraft in die Schlacht.
    Jane war eine Spätaufsteherin – sie brauchte ihren Schönheitsschlaf, brauchte viel Zeit für ihr Gesichtspeeling und für die Brustmuskel-Gymnastik, Zeit für tausend Bürstenstriche über die reinweiße Kopfhaut und zum Auftragen von Grundierung, von Abdeckstift und Lidschatten, von Rouge und Eyeliner, Mascara und schimmerndem Puder, was ihr alles zusammen die Erscheinung des spontanen, unverbrauchten Mädchens von nebenan mit dem Zigeunerhaar und dem außerirdischen Blick verlieh. Und das war ihr schwacher Punkt. Ruth fing an, sehr früh aufzustehen, noch bevor Owen klopfte. Sie zog sich an, als hätte sie eine Verabredung mit einem Literaturkritiker – Frisur, Make-up, tief ausgeschnittene Bluse, das volle Programm eben –, und sie stellte sicher, dass sie jeden Morgen als Erste am Geselligen Tisch war und als Letzte wieder aufstand. Sie war bezaubernd, klug und verführerisch, und sie machte so oft wie möglich indirekte, aber vernichtende Anspielungen auf La Shine, wie sie inzwischen allgemein genannt wurde. Und wenn Irving Thalamus herunterkam, mit Säcken unter den Augen, einem Gesicht, das so zerknittert und zerfurcht war wie der Boden des Roten Meeres, und einen frühmorgendlichen Hauch von Bourbon an sich, war sie wieder sein Mädchen, ganz wie früher. Sie berührte ihn beim Sprechen, schmiegte sich an ihn, warf den Kopf beim Lachen zurück, sodass er ihren Hals und ihr Dekolleté bewundern konnte.
    Zur Cocktailstunde scharte sie Sandy, Ina und Regina um sich – und auch Saxby, wenn er nicht gerade auf der Suche nach seinen Zwergfischen in den Sümpfen war – und bildete eine Einflusssphäre in der einen Ecke des Zimmers, während Jane Shine ihre Kräfte in der anderen sammelte. Manchmal aß sie anschließend mit Saxby und seiner Mutter zu Abend, in Septimas Wohntrakt – dies war ja letzten Endes der wahre innere Kreis –, und statt sich auf Gefechte mit Jane Shine im Billardzimmer einzulassen, sah sie sich lieber einen alten Film auf Video an oder starrte stundenlang in die grün schimmernde Leere von Saxbys Aquarium. Sie machte gute Figur bei Septima und war sich ihrer Gunst bewusst, und dabei

Weitere Kostenlose Bücher