Der Sand der Zeit
auf den Gedanken, ich dünke mich ihnen gleich?«
»Nur Götter finden neue Welten«, antwortete Lars, beeilte sich aber hinzuzufügen: »Es sei denn, sie bedienen sich eines Menschen als Werkzeug ihres Willens.«
Die Spannung, die plötzlich in der Luft lag, war direkt greifbar. Hellmarks Gestalt straffte sich unmerklich, und die Hand, die den tönernen Trinkbecher hielt, senkte sich ein wenig. Sie war jetzt näher am Griff seines Schwertes. Hellmark setzte dazu an, etwas zu sagen, aber in diesem Moment berührte ihn Tjelsund, der Kapitän des dritten Drachenbootes, am Arm und deutete nach Westen.
»Sieh, Hellmark«, sagte er stirnrunzelnd. »Erickson und Tronje haben gewendet.«
Für einen Moment zögerte Hellmark, als befürchtete er eine Falle. Dann wandte er doch widerwillig den Kopf und sah in die Richtung, in die der schwarzhaarige Nordmann deutete. Der andere hatte recht. In den wenigen Augenblicken, die er nicht aufs Meer hinausgesehen hatte, hatten die beiden Drachenboote gewendet und hielten jetzt direkt auf sein Schiff zu. Die Segel waren gebläht und trieben die schlanken Rümpfe mit erstaunlicher Geschwindigkeit durch die Wellen; gleichzeitig klatschten die langen Ruder in raschem Takt in die Wellen und verliehen ihnen noch mehr Tempo. Die geschnitzten Drachenköpfe am Bug der Schiffe hüpften im Rhythmus der Wellen auf und ab, so daß es im unsicheren Zwielicht fast so aussah, als näherten sich zwei bizarre Seeungeheuer dem Schiff.
Hellmark runzelte die Stirn. »Was haben sie vor?« fragte er.
»Wenn sie nicht ihre Geschwindigkeit senken, dann werden sie uns rammen.« Seine Augen preßten sich zu schmalen Schlitzen zusammen. Er ließ den Becher vollends sinken, stand auf und griff nach seinem Schwert. Die Berührung des kalten, mit dünnen Lederstreifen umwickelten Griffes gab ihm ein trügerisches Gefühl der Beruhigung. Sein Blick streifte Lars’
Gesicht, aber das zernarbte Antlitz des breitschultrigen Hünen blieb ausdruckslos. Nicht so Tjelsund. In plötzlichem Zorn sprang er ebenfalls auf, ballte die Fäuste und riß sein Schwert aus dem Gürtel.
»Verrat!« keuchte er. »Es ist Verrat im Spiel, Hellmark!
Erickson und Tronje,«
»Nicht nur Erickson und Tronje«, unterbrach ihn Lars ruhig. Etwas war in seiner Stimme, das Hellmark warnte.
Für die Dauer eines Herzschlags erstarrte er, dann drehte er sich bewußt langsam, um den anderen nicht zu einer Unbe-sonnenheit zu reizen, herum und starrte Lars an. Der Wikinger hatte sein Schwert gezogen und war ein paar Schritte zurückgewichen. Sein Blick huschte aufmerksam zwischen Tjelsund und Hellmark hin und her. Er schien genau zu wissen, wie gefährlich die beiden Gegner waren, denen er gegenüberstand. Aber es war keine Furcht in seinem Blick.
»Bist du von Sinnen?« entfuhr es Hellmark. Er tauschte einen raschen Blick mit Tjelsund, aber der war mindestens genauso überrascht wie er. Die Waffe in seiner Hand zitterte, er zögerte sichtlich, sich auf Lars zu stürzen. Lars’ Schwert war unter den Männern fast so gefürchtet wie das Hellmarks.
Und nicht einmal Hellmark war sicher, ob er ihn wirklich schlagen konnte.
»Ich weiß sehr wohl, was ich tue«, sagte Lars. »Und die anderen dort drüben«, er deutete mit der Schwertspitze auf die heransausenden Schiffe, die nur mehr wenige Bootslängen von ihnen entfernt waren, »ebenfalls. Du hast die Männer ein wenig zu sehr geschunden, Hellmark. Sie haben dir ihr Leben anvertraut, aber du hast ihr Vertrauen miß-
braucht.«
Hellmark lachte roh. »Was willst du?« fragte er. »Die meisten leben noch, und in ein paar Tagen sind Hunger und Entbehrungen vergessen.«
»Aber nicht deine Grausamkeit«, antwortete Lars. »Wie viele hast du zu Tode prügeln lassen, wegen einer kleinen Verfehlung, wegen eines Schlückchens Wasser, das sie sich genommen haben?«
»Fünf«, antwortete Hellmark ungerührt. »Und sie haben das Wasser nicht genommen, sie haben es gestohlen. Was habt ihr vor, Erickson und du? Eine Meuterei?« Aus den Augenwinkeln sah er, wie die beiden anderen Schiffe näherkamen. Die Ruder schlugen jetzt Gegentakt, um das Tempo zu drosseln, aber zumindest Tronjes Schiff würde es nicht mehr ganz schaffen.
Hellmark spreizte ein wenig die Beine, um auf den Zusammen-prall vorbereitet zu sein.
»Wenn du es so nennen willst«, sagte Lars. »Es wäre sinnlos, wenn du kämpfst, Hellmark. Nur eine Handvoll Männer würde sich auf deine Seite stellen.«
Hellmark warf einen raschen Blick
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