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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Moment. »Nicht ganz«, gestand er.
    »Aber beinahe.«
    »Eine kühne Behauptung«, wandte ich ein. »Angesichts einer Leiche, die nichts mehr sagen kann.«
    »Oh, er ist nicht ganz stumm«, antwortete Becker beleidigt.
    »Dieser Mann war kein gewöhnlicher Seefahrer. Er wurde in einem Fürstengrab gefunden. Einem Grab, das bis ins letzte Detail denen glich, mit denen hochstehende Persönlichkeiten der Wikinger bestattet wurden.«
    »Aber wer sagt ihm, daß dieser Tote Erickson ist?«
    »Die Grabbeigaben«, antwortete Becker. »Die Wikinger begruben ihre Fürsten zusammen mit ihren Schiffen, und zusammen mit einer Unmenge anderer Dinge. Und er hat Inschriften mit Namen gefunden, Ericksons und denen einiger anderer. Seine Forschungen sind noch nicht ganz abgeschlossen, aber er ist fast sicher, daß es sich bei diesem Mann um Leif Erickson persönlich handelt. Wenn Havilland es beweisen kann …«
    Er sprach nicht weiter, aber ich verstand ihn auch so. Ich begriff sogar, warum Havilland so heftig reagiert hatte,
    wenn er recht hatte und wenn er das auch noch beweisen konnte, dann konnte er mit einer Sensation aufwarten, die ungefähr der Entdeckung Trojas gleichkam. Aber irgend etwas sagte mir, daß die Geschichte einen Haken hatte. Ich sah Becker forschend von der Seite an.
    »Sie selbst sind nicht so überzeugt, daß der Tote Leif Erickson ist, stimmt’s?«
    Becker wich meinem Blick aus, zuckte mit den Achseln und schlug fröstelnd die Arme um den Oberkörper. »Warum gehen wir nicht unter Deck?« fragte er, das Thema abrupt wechselnd, ohne meine Frage zu beantworten.
    Ich schüttelte den Kopf. Auch mir war kalt, aber nicht so kalt, daß ich es nicht mehr ausgehalten hätte. Und ich wurde zunehmend nervöser. Ich hatte das Gefühl, nein, das sichere Wissen, daß etwas passieren würde, aber ich wußte noch nicht, was.
    »Dann hole ich uns wenigstens einen Becher Kaffee«, sagte Becker. »Crandell hat immer eine Thermoskanne voll, bei diesem Wetter.« Er grinste. »Laufen Sie mir nicht weg.«
    Das Boot bewegte sich langsam weiter nach Osten, während Becker in der winzigen Kajüte der Yacht verschwand. Ich trat dichter an die Reling heran und versuchte, die Insel, von der Becker gesprochen hatte, am Horizont zu entdecken, aber es gelang mir nicht. Dabei konnte sie nicht mehr weit entfernt sein, denn Becker hatte von einer knappen halben Stunde Fahrt gesprochen, und das Boot war nicht sehr schnell. Aber die Sicht war nicht besonders gut,
    über dem Meer lag Nebel in dichten, wogenden Schwaden, als wäre eine Wolke vom Himmel gefallen, und die Meeres-oberfläche war seltsam glatt; man sah kaum Wellen.
    Becker kam zurück, in jeder Hand einen Becher mit damp-fendem Kaffee. Ich nahm einen davon wortlos entgegen und nippte an dem heißen Getränk. Der Kaffee schmeckte scheußlich, aber die Wärme tat gut. Wir sprachen nicht viel während der nächsten zehn Minuten, aber ich spürte, daß sich Becker fast genauso unwohl in seiner Haut fühlte wie ich.
    Nach einer Weile wurde die Tür des Ruderhauses geöffnet, und Crandell kam heraus. Er trug jetzt einen dicken Parka mit pelzgefüttertem Kragen, und sein Atem konden-sierte zu kleinen rhythmischen Dampfwölkchen vor seinem Gesicht, als er sprach. Ich hätte nie gedacht, daß es an der mexikanischen Küste so kalt werden kann!
    »Der Nebel wird dichter«, sagte Crandell, an Becker gewandt. »Wollen Sie noch weiter, oder fahren wir zurück?«
    »Zurück?« Becker runzelte die Stirn. »Wir haben doch schon fast die halbe Strecke hinter uns!«
    »Trotzdem«, sagte Crandell mit einer Geste auf die Nebelbank. Sie war tatsächlich dichter geworden, wenn auch längst nicht so dicht, daß sie wirklich eine Gefahr darstellen würde.
    »Es wird schlimmer.« Seine Stimme klang beunruhigt. Ich hatte das Gefühl, daß er Angst hatte. Und seine nächsten Worte schienen meine Vermutung zu bestätigen.
    »Ich habe so etwas noch nie erlebt«, sagte er kopfschüttelnd. »Diese Kälte und dieser Nebel! Dabei lebe ich schon seit über zehn Jahren hier.«
    Becker überlegte einen Moment. »Ist es so schlimm, daß wir zurückfahren müssen?«
    »Nein«, antwortete Crandell. »Aber es kann sein, daß wir auf der Insel festsitzen, bis sich die Suppe wieder aufgelöst hat.«
    »Dann fahren wir weiter«, bestimmte Becker.
    Hendrick resignierte. Mit einem lautlosen Seufzer wandte er sich um, um zu dem winzigen Ruderhaus im Bug des Schiffes zurückzugehen. Aber dann blieb er mitten im Schritt wieder

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