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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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stehen und deutete nach vorne.
    »Was ist denn das?« fragte er verblüfft.
    Auch Becker und ich sahen angespannt nach vorne.
    Der Nebel hatte sich, während wir miteinander gesprochen hatten, weiter verdichtet, und dahinter schienen gewaltige, massige Schatten zu wogen, deren Umrisse hinter den grauen Schwaden zerflossen.
    Ich blinzelte, fuhr mir mit der Hand über die Augen und sah noch einmal hin. Nein, es war keine Täuschung. Irgend etwas bewegte sich dort vorne.
    »Was ist das?« fragte Becker stockend. »Ein anderes Schiff?« Crandell runzelte die Stirn und setzte dazu an, etwas zu sagen, trat aber dann mit einem stummen Kopfschütteln an uns vorbei und starrte aus zusammengekniffenen Augen in den Nebel. Die brodelnde Wolke war näher gekommen.
    »Da treibt etwas auf uns zu«, murmelte er. »Etwas verdammt Großes, würde ich sagen.«
    »Vielleicht ein Schiff?« sagte Becker noch einmal. Hendrick schüttelte überzeugt den Kopf. »Kaum. Das Meer ist hier viel zu seicht für ein größeres Schiff. Sogar mit einer Nußschale wie unserer können wir auf Grund laufen, wenn wir nicht aufpassen.«
    »Aber das Ding dort vorne ist so groß wie ein Schiff«, mischte ich mich ein. »Man hört gar nichts … Seltsam.«
    Becker sah mich unsicher an. »Vielleicht ist es doch besser, wenn wir zurückfahren«, sagte er plötzlich. »Der Professor wird das verstehen. Wir versuchen es noch einmal, wenn sich der Nebel verzogen hat. Ich habe keine Lust, von einem Öltanker gerammt zu werden.«
    Das war nicht der wahre Grund, das spürte ich ganz genau. Aber weder Crandell noch ich widersprachen. Etwas an diesem Nebel war unheimlich. Er kam mir plötzlich gar nicht mehr vor wie Nebel, sondern wie ein Versteck, eine Tarnkap-pe, in deren Schutz irgend etwas herankroch …
    Hendrick wollte sich herumdrehen und wieder ins Ruderhaus treten, aber in diesem Moment ergriff ihn Becker am Arm und drückte so heftig zu, daß Hendrick vor Schmerzen die Luft ausstieß. Er fuhr herum und wollte die Hand beiseite schlagen. Dann erstarrte er mitten in der Bewegung.
    Und auch ich konnte einen erschrockenen Ausruf nur im letzten Moment unterdrücken. Beckers Arm deutete aufs Meer hinaus, auf eine Stelle, die keine zwanzig Yards von unserem Boot entfernt war. Das Wasser, das eben noch so still und ruhig gewesen war, als wäre es mit Öl übergossen worden, begann plötzlich zu brodeln und zu wogen. Große, schillernde Blasen stiegen aus der Tiefe empor und zerplatz-ten. Ich glaubte einen Schatten zu sehen, der ganz langsam unter der Wasseroberfläche heranwuchs.
    »Was ist das?« fragte Becker. Seine Stimme bebte, und als er den Kopf wandte und erst Hendrick und dann mich anstarrte, flackerte Furcht in seinen Augen.
    Hendrick streifte seine Hand mit sanfter Gewalt ab, trat dicht an die Reling heran und beugte sich vor, so weit es ging. »Ich habe keine Ahnung«, gestand er. Zögernd trat ich neben ihn. Das Herz hämmerte mir bis zum Hals. Ich mußte plötzlich wieder an den Schatten denken, den ich in Havillands Haus gesehen hatte, und mit einemmal war ich völlig sicher, daß es keine Einbildung gewesen war. Ich schalt mich in Gedanken einen Trottel, Becker nichts von meiner unheimlichen Beobachtung erzählt zu haben.
    Aber es war zu spät. Das Wasser brodelte immer stärker, als begänne es zu kochen, und das dunkle Gebilde unter der Oberfläche wurde immer deutlicher.
    »Da taucht etwas auf«, murmelte Crandell.
    Ich kam nicht einmal dazu, zu antworten. Als wäre seine Bemerkung ein Stichwort gewesen, brach in diesem Moment ein gewaltiger, schwarzer Umriß schäumend aus dem Wasser hervor.
    Mit einer erschrockenen Bewegung prallte ich zurück. Das Boot erzitterte wie unter einem Faustschlag und legte sich stöhnend auf die Seite, und eine Welle eisigen Salzwassers spülte über Bord und durchnäßte uns bis auf die Haut. Doch davon spürte ich kaum etwas.
    Fassungslos starrte ich auf das unglaubliche Ding, das direkt vor uns wie ein Schatten aus einer fernen, längst vergangenen Zeit auf den Wellen schaukelte.
    Becker keuchte und rieb sich mit dem Handrücken das Salzwasser aus den Augen, und Crandell stand wie gelähmt mit weit offenem Mund da. Und noch ehe wir uns aus unserer Erstarrung lösen konnten, drehte sich die gespenstische Erscheinung langsam herum, so daß der gewaltige, geschnitzte Drachenkopf an ihrem Bug direkt auf das Schiff deutete …
    »Großer Gott!« stammelte Becker. »Aber das ist doch un-möglich!«
    Und doch war es wahr.

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