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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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drückte nicht ab. Plötzlich war es, als erwache er aus einem Traum. Er hob die Waffe vor die Augen und blickte sie einen Herzschlag lang an, als müsse er ernsthaft überlegen, was damit anzufangen sei. Der Wikinger-Krieger hielt sich allerdings nicht mit solchen Denksportaufgaben auf
    , seine riesigen Hände grabschten nach Becker, der nur noch im letzten Moment ausweichen konnte.
    »Zurück!« schrie er. »Um Himmels willen, raus hier!«
    Aber sowohl Havilland als auch Crandell reagierten noch immer nicht. Langsam, wankend und mit stampfenden Schritten kam der gigantische Wikinger auf Crandell zu, der sich schützend vor dem Professor aufgebaut hatte. Seine Hände bewegten sich ruckartig, als hätte er Schwierigkeiten, nach einem Jahrtausend Schlaf die Kontrolle über seine Glieder wiederzugewinnen. Crandell erwachte erst aus seiner Erstarrung, als die Mumie fast bei ihm war. Er schrie auf, riß den Abzug der Magnum abermals durch und taumelte gleichzeitig zurück.
    Der Schuß hatte ungefähr den gleichen Erfolg wie die vor-hergegangenen: Die Kugel durchschlug den mumifizierten Körper des Untoten und klatschte in die dahinter liegende Wand. Der Wikinger schien den Treffer kaum zu spüren, doch seine Wucht reichte immerhin, ihn zurücktaumeln und gegen den Tisch prallen zu lassen, auf dem er bisher gelegen hatte. »Zurück, Professor!« keuchte Becker entsetzt. »Raus hier!«
    Und diesmal, endlich, reagierte Havilland. Mit einem Schrei, der an das Gebrüll eines Wahnsinnigen erinnerte, wirbelte er herum und stürzte an Jake und mir vorbei aus dem Keller. Crandell feuerte eine weitere Kugel auf die lebende Mumie ab, fuhr ebenfalls herum und raste los.
    Es war wie draußen auf dem Strand, wir rannten schneller als der Wikinger, aber unser Vorsprung reichte trotzdem nicht. Ich erreichte als letzter die oberste Stufe der schmalen Kellertreppe, warf einen blitzschnellen Blick über die Schulter zurück und schmetterte dann mit aller Gewalt die Tür ins Schloß, als ich sah, daß das Monster uns mit kaum zwei Schritten Abstand folgte. Mit zitternden Fingern drehte ich den Schlüssel zweimal um.
    Allerdings hätte ich mir diese Mühe sparen können, die Tür bestand aus fast zollstarkem Eichenholz, aber der Wikinger rannte einfach hindurch. Das Türblatt wurde aus den Angeln gerissen und dann zertrümmert, und das Ungeheuer erschien wie ein zum Leben erwachter Alptraum in der gewaltsam geschaffenen Öffnung.
    Auf der anderen Seite der Halle schrie Crandell gellend auf, und als ich herumfuhr, sah ich, daß er verzweifelt und mit aller Macht an der Eingangstür zerrte. Sie rührte sich nicht.
    »Den Schlüssel!« brüllte er. »Havilland, den Schlüssel!«
    Aber es lag nicht am Schlüssel. Mir fielen plötzlich wieder Beckers Worte ein, wonach die Tür niemals abgeschlossen wurde. Irgend etwas hielt uns hier drinnen gefangen!
    Neben mir knurrte Becker wütend, hob den mitgebrachten Kampfspeer und schleuderte ihn mit aller Gewalt nach dem Wikinger. Doch der Speer war schwer, und Beckers verletzte Schulter behinderte ihn zu sehr. Er schrie vor Schmerz auf, als er den Speer fliegen ließ, und kippte zur Seite. Aber wenn der Wurf auch nicht kraftvoll genug war, der lebenden Mumie eine ernsthafte Verletzung zuzufügen, so reichte seine Wucht doch aus, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen und schwer auf Hände und Knie fallen zu lassen. Wir hatten eine Sekunde Luft, aber wirklich nicht viel mehr.
    Meine Gedanken überstürzten sich, und ich spürte, daß ich nahe daran war, in Panik zu geraten. Rings um mich herrschte das schiere Chaos: Crandell zerrte noch immer aus Leibeskräften an der Tür und brüllte dabei, als würde er aufgespießt, Becker wand sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden, und Havilland stand mit leerem Blick da und starrte die Mumie an, als könne er immer noch nicht begreifen, was er da sah.
    Der Untote stemmte sich lautlos wieder auf die Füße.
    Seine Hände öffneten und schlossen sich unentwegt, als wolle er irgend etwas zermalmen, und sein Kopf mit den leeren, blicklosen Augenhöhlen ruckte zwischen Becker, Havilland und mir hin und her. Ich war mit einem Schritt bei Crandell, nahm die Magnum aus seiner verkrampften Hand und kniete dann neben Becker nieder. Der Wikinger beobachtete mich, aber er rührte sich nicht, so, als wisse er genau, daß wir in der Falle saßen und ihm nicht mehr entkommen konnten …
    »Wir müssen raus hier«, sagte ich. »Jake, können Sie laufen? Gehen Sie zur Tür!

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