Der Sand der Zeit
hatten bereits aufgehört zu bluten, und sein Gesicht nahm allmählich wieder Farbe an. Es war erstaunlich, wie schnell er sich von Verletzungen erholte, die einen anderen an seiner Stelle umgebracht hätten.
»Er ist noch hier«, sagte ich, wohlweislich so leise, daß weder Crandell noch der Professor meine Worte verstehen konnten.
Becker nickte. Sein Blick war sehr ernst. »Woher wissen Sie das?«
»Ich spüre es«, antwortete ich, und das war die Wahrheit.
Ich fühlte die Nähe des Ungeheuers wie einen üblen Geruch.
Es war noch im Haus.
»Aber woher wissen Sie es?« fügte ich hinzu.
Becker versuchte zu lächeln, aber es wurde eher eine Grimasse daraus. »Habe ich gesagt, daß ich es weiß?«
Ich antwortete gar nicht darauf, sondern ließ mich neben ihm in die Hocke sinken und sah ihn prüfend an. »Was haben Sie damit gemeint, Jake«, fragte ich, »als Sie zu ihm sagten: Ich befehle dir zu gehen?«
Robert lächelte unsicher. »Das soll ich gesagt haben? Unsinn. Man … man sagt viel, wenn man in Panik ist. Die Menschen tun die sonderbarsten Sachen, wenn Sie Angst haben, wissen Sie das nicht?«
»Doch«, antwortete ich, ohne auf sein Lächeln zu reagieren.
»Sie lernen zum Beispiel plötzlich, mit einem nordischen Griffzungenschwert zu kämpfen, nicht wahr?«
»Aber ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich ein bißchen geübt,«
»Blödsinn!« unterbrach ich ihn scharf. »Ich kann selbst fechten, Jake, und zwar verdammt gut. Ich nehme seit drei Jahren Unterricht bei den besten Lehrern. Es gibt nicht viele, die mir mit dem Florett beikommen, wissen Sie? Aber ich hatte Mühe, dieses Schwert überhaupt zu halten.«
Beckers Gesicht war plötzlich wie Stein. »Und?« fragte er.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Sie verschweigen mir etwas, Jake«, unterbrach ich. »Aber ich glaube, jetzt ist nicht der Moment für Geheimnisse.«
»Unsinn«, sagte Becker. »Sie übertreiben, Robert.«
Eine Hand berührte mich an der Schulter und hinderte mich daran, zu antworten. Ich sah auf und blickte in Crandells schreckensbleiches Gesicht.
»Es geht nicht«, sagte er.
»Was geht nicht?« fragte ich.
»Das Telefon«, stammelte Crandell. »Es … es funktioniert nicht.«
Ich sah ihn einen Moment zweifelnd an, dann erhob ich mich, ging zum Tisch und versuchte es selbst. Mit bebenden Fingern nahm ich den Hörer ab, wählte eine x-beliebige Nummer und wartete auf das Freizeichen. Es kam nicht. Das Telefon blieb stumm. Ich wartete einen Moment, schlug mit dem Handballen gegen die Muschel und lauschte erneut.
Aber aus dem Hörer drang nicht der geringste Laut. Ich hängte auf, wartete einige Sekunden und versuchte es dann noch einmal, aber auch diesmal blieb das Freizeichen aus.
Das Telefon war tot.
Mein Blick glitt durch den verwüsteten Raum. Die meisten Glasvitrinen und Regale waren zertrümmert; Fundstücke und Scherben lagen in wirrem Durcheinander auf dem Boden, und selbst das Boot war aus seiner Halterung gerissen und hing schräg auf seinem Sockel, als wäre es erst jetzt wirklich gestrandet.
»Wir müssen raus hier, Crandell!«, sagte ich. »Glauben Sie, daß Sie den Professor tragen können, wenn ich mich um Jake kümmere?«
Crandell nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf.
»Die Tür geht nicht auf«, sagte er leise.
»Verdammt noch mal, dann schlagen Sie ein Fenster ein!«
fauchte ich unbeherrscht, aber Crandell rührte sich auch jetzt nicht von der Stelle, und ich hatte wahrlich keine Lust, weiter mit ihm zu diskutieren.
Ich bückte mich, hob das massige Schwert auf und ließ die Klinge ohne ein weiteres Wort gegen eines der Fenster krachen. Es gab einen hellen, peitschenden Ton, als schlüge Stahl auf Stahl. Das Schwert wurde mir aus der Hand geprellt und schepperte zu Boden. Ich taumelte mit einem verblüfften Laut zurück. Die Klinge hatte die Fensterscheibe nicht einmal berührt, sondern war wenige Zentimeter davor gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt!
Zwei, drei Sekunden lang blieb ich starr vor ungläubigem Schrecken stehen, dann bückte ich mich erneut, hob einen umgeworfenen Stuhl auf und schleuderte ihn mit aller Gewalt gegen das Fenster.
Das Ergebnis war das gleiche. Auch der schwere Eichen-stuhl prallte von der Fensterscheibe ab, ohne auch nur den geringsten Kratzer zu hinterlassen.
»Mein Gott!« keuchte Crandell. »Das ist doch unmöglich!«
Ich war nicht einmal wirklich überrascht. Irgendwie hatte ich es erwartet. Wir saßen in der Falle. Aber so schnell würde ich nicht
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