Der Sand der Zeit
liebe Katzen über alles, aber dieses gewaltige schwarze Tier war alles andere als eine normale Raubkatze. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß sie mich beobachtete, auf eine Art beobachtete, die ganz und gar nichts Tierisches an sich hatte.
»Warum geht er voraus?« fragte ich mit einer Kopfbewegung in die Richtung, in der Setchatuatuan verschwunden war.
»Fürchtet er einen Hinterhalt?«
Lasse zuckte mit den Achseln. »Setchatuatuan ist ein vorsichtiger Mann«, sagte er. »Manchmal zu vorsichtig. Aber wahrscheinlich lebt er nur deshalb noch. Leif Erickson weiß ganz genau, wo wir uns verbergen.«
»Und trotzdem seid ihr in den Höhlen sicher?«
Der Wikinger lachte rauh. »Das sind wir«, bestätigte er.
»Leif Erickson hat Macht über die Olmeken. Sie glauben, daß er selbst ein Gott ist, weil er Quetzalcoatl beherrscht. Aber sie fürchten diesen Ort noch mehr als sie Erickson verehren. Nicht einmal er könnte ihnen befehlen, hierher zu kommen.«
Seine Miene verdüsterte sich. »Wenigstens hoffe ich es«, fügte er halblaut hinzu.
Ich setzte zu einer Antwort an, beschränkte mich aber dann auf ein wortloses Achselzucken und sah erneut in die Richtung, in der der Olmekenhäuptling verschwunden war. Als Lasse Rotbart das erstemal die Höhlen erwähnt hatte, hatte ich unwillkürlich angenommen, daß wir uns ins Gebirge begeben würden, aber wenn auch unser Weg ständig leicht angestiegen war, so war er doch nie richtig steil geworden, und die tropische Vegetation rund um uns hatte sich kaum geändert. Der Zugang zu den Höhlen von Tucan mußte mitten im Dschungel liegen. Ich kramte in meinen Erinnerungen, fand aber nichts über diese Höhlen. Entweder waren sie in unserer Zeit noch nicht wiederentdeckt worden, oder, was wahrscheinlicher war
, meine bescheidenen historischen Kenntnisse reichten nicht aus. Bis vor ein paar Wochen hatte sich mein Wissen über Mexiko und die Geschichte der Mayas und Azteken so ungefähr auf die Schreibweise dieser Worte beschränkt.
Trotzdem verstand ich die Besorgnis des Olmeken. Ich selbst konnte mich einer seltsamen, schwer in Worte zu fassenden Unruhe nicht erwehren, ein Gefühl, das mit jedem Schritt, den wir weiter nach Norden kamen, stärker geworden war.
Zu Anfang hatte ich es meiner Erschöpfung zugeschrieben, aber mittlerweile wußte ich, daß das nicht stimmte. Es war Gefahr, was ich spürte, eine dumpfe, quälende Vorahnung, in eine Falle zu laufen. Und mehr. Hier ging es nicht mehr bloß um Leif Erickson und den Verrat, den er begangen hatte. Leif Erickson hatte Amerika Jahrhunderte vor Christoph Kolumbus entdeckt, das war eine Tatsache, die auch im zwanzigsten Jahrhundert, aus dem ich stammte, bekannt war. Aber er hatte niemals eine Kolonie hier im Norden des südamerikanischen Kontinents errichtet, und er hatte erst recht nicht als König über die Olmeken, die Vorfahren der Mayas und Azteken, geherrscht. War ich vielleicht hier, um die Geschichte zu korrigieren? Kaum.
Ich schob den Gedanken mit einem lautlosen Seufzer beiseite und wollte aufstehen, aber Lasse hielt mich mit einer raschen Bewegung zurück. »Auf ein Wort noch«, sagte er.
Gehorsam ließ ich mich zurücksinken und sah den hünenhaften Wikinger fragend an.
»Es wird vielleicht das letztemal sein, daß wir allein miteinander reden können«, sagte Lasse. »Und ich möchte wissen, woran ich bei dir bin.«
»Wie meinst du das?« Ich lachte übertrieben spöttisch.
»Traust du mir immer noch nicht, Lasse Rotbart?«
Lasse lachte nicht. »Ich weiß nicht, wer du bist«, sagte er.
»Aber ich glaube dir, daß du nicht aus diesem Land stammst.
Für Setchatuatuan und seine Männer bist du ein Gott.« Er wies mit einer halb zornigen, halb aber auch furchtsamen Geste auf den Jaguar, der die abrupte Bewegung mit einem warnenden Grollen quittierte.
»Diese Bestie ist ihr heiliges Tier. Und du beherrschst es.«
»Worauf willst du hinaus?« fragte ich.
Lasse zögerte. »Mit dir an ihrer Spitze werden die Indios diesen Verräter Leif Erickson von seinem Thron fegen, bist du so dumm, daß du das nicht weißt, oder tust du nur so?«
Ich hob hilflos die Hände. »Aber …«
»Nichts aber«, fiel mir Lasse ins Wort. »Wenn sich herumspricht, was geschehen ist, dann werden sie in Scharen kommen und sich dir anschließen. Erickson beherrscht die Indios, aber er tut es nur, weil sie Angst vor ihm haben. Hätten sie einen Führer, stünde das ganze Volk auf. Und Setchatuatuan wird dafür sorgen, daß es sich
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