Der Sand der Zeit
Stämmen im Norden.«
»Boten?«
Setchatuatuan deutete auf mich, sagte aber kein Wort, als wäre diese Bewegung allein Erklärung genug. Und für Lasse Rotbart schien sie dies auch zu sein, denn ich sah, wie sich seine Stirn umwölkte. »Bist du nicht ein wenig voreilig, mein Freund?« fragte er.
In Setchatuatuans Augen blitzte es auf. »Worauf warten?«
fragte er. »Daß Erickson kommt und uns vernichtet? Oder gleich Quetzalcoatl selbst?« Er ballte in einer Mischung aus Zorn und Hilflosigkeit die Faust.
»Die Zeit ist reif«, sagte er. »Viel zu lange haben wir auf den Tag der Rache gewartet. Bald wird Erickson seine verdiente Strafe bekommen. Aztlan wird fallen.«
Lasse seufzte. Aber er schien einzusehen, daß es nicht der richtige Moment war, um mit Setchatuatuan zu streiten. Und nach einer Weile stand der Olmeke auch wieder auf und entfernte sich.
Ich blickte ihm beunruhigt nach, bis seine Gestalt im Halbdunkel der Höhle mit denen der anderen verschmolzen war.
»Was ich da gerade gehört habe«, fragte ich, »war das zufällig der Anfang einer Revolution?«
Lasse lachte leise. »Du machst Scherze, Robert aus Britannien«, sagte er.
»Ganz und gar nicht«, antwortete ich, fast zornig. »Lasse, ich bin nicht hier, um,«
»Wen kümmert das?« unterbrach mich Lasse. »Letztlich ist es ganz gleich, ob dich Odin geschickt hat, ob du ein Zauberer bist oder auch nur ein Narr, der sich aufspielt. Was zählt, ist, was sie in dir sehen. Sie haben auf einen Mann wie dich gewartet, seit Erickson kam, Robert. Auf ein Zeichen der Götter.« Er deutete auf den Jaguar. »Es ist da.«
»Und wenn ich nicht will?«
Lasse lachte abermals. »Ich fürchte, Setchatuatuan wird dich nicht fragen, was du willst«, sagte er. Er machte eine rasche, undeutbare Handbewegung. »Was zählt unser Wille im Spiel der Götter?«
Ich antwortete nicht darauf, was hätte ich auch sagen sollen? Wieder sah ich eine Weile zu Setchatuatuan und den anderen Olmeken hinüber, und wieder war es nach einer Weile, als verwandelten sie sich, würden von lebenden Menschen zu bloßen körperlosen Schatten, rasch verblassenden Abbildern ihrer selbst. Etwas an diesem Ort schien … Leben aufzusau-gen, anders konnte ich das Gefühl nicht beschreiben, das mich überkam.
»Diese Höhlen, Lasse«, fragte ich nach einer Weile. »Was sind sie?«
Rotbart zuckte mit den Achseln. »Das weiß niemand«, murmelte er. »Es gibt viele Legenden, aber was zählen solche Ammenmärchen? Für manche sind sie ein verfluchter Ort. Die Pforten zur Unterwelt für andere. Für wieder andere nur Löcher im Boden. Und für einige wenige ein Versteck.«
»Und für dich?«
»Löcher im Boden.«
»Das stimmt doch gar nicht«, behauptete ich. Lasse runzelte die Stirn, und ich fuhr, in halb scherzhaftem, halb ernstge-meintem Ton, fort: »Versuche niemals, einen Zauberer zu belügen, Lasse Rotbart. Es ist unmöglich. Du fürchtest diesen Ort so sehr wie Setchatuatuan und seine Krieger. Nur auf andere Weise.«
»Und du?« gab Lasse anstelle einer direkten Antwort zurück.
Diesmal war ich es, der zögerte zu antworten. »Ich weiß es nicht«, sagte ich nach sekundenlangem Schweigen und einem weiteren Blick in die Runde. »Etwas hier macht mir Angst.
Erzähl mir von diesen … Legenden.«
Lasse machte eine wegwerfende Handbewegung. »Unsinn«, sagte er. »Diese Indios sind ein schwatzhaftes Volk. Sie sind wie die Kinder. Leicht zu täuschen.«
»Erzähl sie mir trotzdem«, bat ich.
Lasse blickte mich an, als betrachte er ein Kind, das zum fünfzigstenmal hintereinander die Geschichte vom Osterhasen hören will. Aber dann begann er trotzdem zu reden: »Diese Höhlen sind gewaltig. Niemand weiß, wie groß sie wirklich sind, aber manche behaupten, daß sie sich bis zu den Bergen erstrecken. Und es gibt von hier aus eine unterirdische Verbin-dung bis nach Aztlan, soviel ist gewiß. Alles andere …«
Er verstummte, setzte sich ein bißchen gerader hin und starrte versonnen in die nachtschwarze Finsternis, die den hinteren Teil der Höhle verschlungen hatte. »Die Indios erzählen, daß es der Eingang zu einer anderen Welt ist«, erzählte er schließlich weiter. »Zu der Welt der Alten.«
Ich fuhr wie elektrisiert auf. »Was hast du gesagt?«
»Die Welt jener, die hier waren, bevor es Menschen gab«, antwortete er lächelnd. »Was natürlich nur eine Legende ist.
Jedermann weiß, daß die Götter die Welt erschufen und den Menschen nach ihrem Abbild. Es gab nichts vor
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