Der Sand der Zeit
und ein leiser Geruch nach Abfall hing in der Luft. Hier sammelten sich Setchatuatuan und seine Männer wohl regelmäßig, wenn sie die Höhlen aufsuchten. Ein düsteres, schäbiges Versteck, dachte ich, selbst für Männer wie diese, die es gewohnt waren, zu flüchten und sich zu verbergen. Und kein Ort, an dem Menschen sein sollten, jedenfalls nicht über längere Zeit. Die Präsenz uralter finsterer Mächte war hier so deutlich, daß sie fast greifbar schien.
Lasse Rotbart wies mir ein Lager im hinteren Ende der Höhle an, und ich begab mich wortlos dorthin, nur begleitet von dem schwarzen Jaguar, dem diese Umgebung offenbar ebensowenig behagte wie mir: Sein Schwanz peitschte nervös, und der riesige runde Kopf bewegte sich unablässig hin und her; der Blick seiner bernsteingelben Augen schien sich in die wattige Schwärze zu bohren. Ich fragte mich beunruhigt, was das Tier mit seinen viel schärferen Instinkten wohl in dieser Umgebung verspüren mochte, wenn ich mich schon so unwohl fühlte.
Setchatuatuans Indios entzündeten mehr Fackeln, und die Schwärze wich einer düsteren, von unheimlichen Schatten durchwobenen Dämmerung, die die Männer sonderbar körperlos wirken ließ und die auf mich beinahe noch beunruhigender wirkte als die künstliche Nacht zuvor. Es war sehr kalt hier unten. Von den Wänden tropfte Feuchtigkeit, und ein beständiger unangenehmer Luftzug aus der Tiefe der Höhle ließ mich zusätzlich frösteln. Nach einer Weile kam Lasse wieder zu mir.
Aber er sagte kein Wort, sondern setzte sich mit untergeschla-genen Beinen neben mich, lehnte den Kopf gegen die eisige Felswand und schloß die Augen. Ich nahm schon an, er wäre eingeschlafen, was nach den letzten drei Tagen nun wirklich kein Wunder gewesen wäre, als er, sehr leise und mit geschlossenen Augen, fragte:
»Wer bist du wirklich, Robert aus Britannien?«
Verdutzt blickte ich Lasse Rotbart an. »Wie … meinst du das?«
Lasse lächelte, noch immer ohne die Augen zu öffnen, doch es war bloß ein Verziehen der Lippen ohne wirkliche Bedeutung. »Du kannst mich nicht täuschen«, sagte er. »Du siehst aus wie ein Welpe, der noch naß hinter den Ohren ist, und du benimmst dich wie ein Narr, aber du bist keines von beiden.«
Er schlug endlich doch die Augen auf und sah mich an, aber es war ein sonderbarer, durchdringender, kalter Blick, in dem etwas Forschendes, Lauerndes und nicht unbedingt Freundliches zu liegen schien.
»Du behauptest, Hellmark gekannt zu haben«, fuhr er fort.
»Dabei mußt du noch ein Kind gewesen sein, als wir unsere Heimat verließen. Und du warst nicht dabei, bei der ersten Expedition.«
»Aber ich habe dir doch schon erklärt,«
»Weißt du, was ich glaube?« fuhr Lasse ungerührt fort. Ich schüttelte den Kopf, und Lasse warf einen sehr langen, nachdenklichen Blick auf den Jaguar neben mir, ehe er fortfuhr:
»Ich glaube, daß du nicht so jung und unerfahren bist, wie du uns gerne glauben machen willst. Ich glaube, daß du ein Zauberer bist, Robert aus Britannien.«
Damit kam er der Wahrheit näher, als er wahrscheinlich selbst ahnte. Aber ich verzog keine Miene, was zum Teufel sollte ich ihm auch sagen? Daß ich zwar wirklich ein Magier war, aber im Moment hilfloser als er? Oder daß ich im Grunde selbst keine Ahnung hatte, was ich hier überhaupt sollte, in dieser fremden Zeit voller fremder Menschen und unverständlicher Geschehnisse?
»Ich weiß nur noch nicht«, fuhr Lasse Rotbart fort, »ob du nun auf unserer Seite stehst oder auf der Leif Ericksons.
Vielleicht hat wirklich Odin dich geschickt, um den Verrat zu sühnen. Aber vielleicht auch Erickson, um uns in eine Falle zu locken.«
»Hier?« Ich machte eine weit ausholende Geste.
»Warum nicht?« erwiderte Lasse. »Setchatuatuans Olmeken fürchten diesen Ort, und sie sind trotzdem hier. Warum sollte Erickson das bei seinen Leuten nicht auch erreichen?« Bevor ich etwas erwidern konnte, wurden Schritte hinter uns laut. Ich sah auf und blickte in Setchatuatuans Gesicht. Der junge Olmeken-Häuptling wirkte so müde und abgespannt wie wir alle, aber in seinen Augen brannte noch immer jenes fanatische Feuer, das mich schon im allerersten Moment so erschreckt hatte.
Er setzte sich zu uns, allerdings in gehörigem Abstand, und ich war ganz und gar nicht sicher, daß dies nur an der Anwesenheit des Jaguars lag, der seine Bewegungen aus mißtrauisch funkelnden Augen verfolgte.
»Ich habe Kundschafter ausgeschickt«, sagte er. »Und Boten, zu den
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