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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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herumspricht, mein Wort darauf. Er mag vielleicht ein abergläubischer Eingeborener sein, aber er ist kein Narr!«
    »Ich bin nicht hier, um eine Revolution anzuzetteln«, sagte ich.
    »Du wirst es müssen«, sagte Lasse.
    Setchatuatuans Rückkehr bewahrte mich davor, antworten zu müssen. Mit einem fast dankbaren Blick auf den Olmeken stand ich auf und wollte weitergehen, aber Setchatuatuan hielt mich mit einem hastigen Kopfschütteln zurück.
    »Nein«, sagte er.
    Ich runzelte die Stirn. »Stimmt etwas nicht?«

    Setchatuatuan schwieg einen Moment und tauschte einen langen, besorgten Blick mit Lasse Rotbart. Auch der Wikinger war aufgestanden und näher gekommen, schwieg aber.
    »Ich weiß es nicht«, sagte der Olmeke schließlich. »Es ist alles ruhig, aber ich habe … kein gutes Gefühl.« Er sah wieder mich an. »Es wäre besser, wenn du mit dem Verwundeten und zwei Kriegern zurückbleiben würdest. Lasse Rotbart und ich werden vorgehen.«
    Seltsamerweise wirkte der Wikinger beinahe erleichtert.
    Rasch wandte er sich um, sagte ein paar Worte zu seinen Leuten und deutete nach Norden. Die vier Wikinger erhoben sich stumm, zogen ihre Waffen und nahmen die Schilde von den Rücken, während zwei von Setchatuatuans Männern die Trage mit dem Verletzten aufnahmen und sich zwei andere schützend rechts und links von mir aufstellten. Ich beobachtete diese Vorbereitungen mit gemischten Gefühlen. Setchatuatuan schien besorgter zu sein, als er zugeben wollte. Aber ich schwieg auch dazu. Vielleicht spürte er einfach die düstere Ausstrahlung dieses Ortes, so wie ich.
    Wir brachen auf. Die Olmeken unter Setchatuatuans Führung bildeten eine breit auseinandergezogene, lockere Kette, die nahezu lautlos zwischen den dichtstehenden Stämmen des Dschungels verschwand, während Lasse und seine vier Männer dicht beieinander blieben, sich aber fast genauso lautlos bewegten. Ich selbst und meine Bewacher folgten dem Haupt-trupp in zehn, fünfzehn Schritten Abstand.
    Der Dschungel endete nach wenigen Dutzend Schritten wie abgeschnitten. Die Bäume traten zurück, machten einem schmalen Streifen felsigem, nur noch von Gestrüpp und halb mannshohen Kakteen bewachsenem Boden Platz, an den sich eine steile, geröllübersäte Anhöhe anschloß. Es war nicht mehr als ein Hügelchen, nicht einmal so hoch wie die Kronen der Urwaldriesen, die es umstanden, und doch schauderte mich bei dem Anblick. Der Höhleneingang war von hier aus deutlich zu erkennen: ein schmaler, V-förmiger Schlitz, wie mit einer gewaltigen Axt in den Berg gehauen. Dahinter wogten Dunkelheit und Schatten wie finstere lebende Wesen, und ein Hauch geisterhafter Kälte schien aus der Tiefe der Erde herauszuwehen. Mir war, als krallten sich unsichtbare Geister-finger in meine Seele, und ich verstand plötzlich, warum die Höhlen von Tucan bei den Olmeken als verflucht galten.
    Dies war ein magischer Ort, ein Platz, an dem finstere, uralte Mächte wirkten, und die bloße Ahnung ihrer Anwesenheit machte mir das Atmen schwer. Wenn Setchatuatuan auch nur einen schwachen Hauch dessen fühlte, was ich empfand, dann verstand ich, warum er beunruhigt war. Ich spürte die magische Energie, die im Inneren dieses Hügels pulsierte, fast körperlich.
    Es war, als wären die Schatten hier ein wenig düsterer, das Licht ein wenig blasser, und alle Laute ein wenig dumpfer; selbst die Bewegungen der Männer, und auch meine eigenen
    , wirkten hier ein winziges bißchen langsamer, weniger flüssig und selbstverständlich. Oh ja, ich begriff, warum nicht einmal Leif Ericksons Macht ausreichte, uns hierher zu verfolgen.
    Rotbart hatte recht, wir würden an diesem Ort vor ihm sicher sein. Aber ich war ganz und gar nicht mehr davon überzeugt, ob diese Sicherheit nicht vielleicht zu teuer erkauft war.

    Die Höhlen von Tucan waren gewaltig, ein ungeheuerliches Labyrinth miteinander verbundener Gänge und Stollen, Tunnels und Katakomben, jäh aufklaffender Abgründe und bodenloser Schluchten. Eingedenk der abergläubischen Furcht der Eingeborenen vor diesem Ort hatte ich damit gerechnet, daß wir nur ein kurzes Stück in das unterirdische Labyrinth vordringen würden, aber Setchatuatuan führte uns tief ins Innere der Erde; sicher zehn Minuten lang marschierten wir im Schein einer einzelnen, blakenden Fackel durch die Finsternis.

    Schließlich erreichten wir eine große, aber sehr niedrige Höhle. Der Boden war übersät mit alten Feuerstellen und Lagern aus Stroh und getrockneten Blättern,

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