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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Die Olmeken wichen meinem Blick aus, wenn ich sie ansah, und wenn ich einen der Männer ansprach, dann senkte er das Haupt und antwortete mit leiser, demütiger Stimme. Ich spürte, daß diese Männer mich verehrten, so sehr, wie sie mir noch vor wenigen Stunden mißtraut hatten. Aber sie fürchteten mich auch, vielleicht sogar noch mehr, als sie mich verehrten.
    Ich war mir nicht recht im klaren darüber, ob ich diese Entwicklung begrüßen sollte, von dem Umstand, daß mir das Benehmen der Indianer ganz einfach peinlich war, einmal ganz abgesehen. Setchatuatuan und seine Männer waren alles andere als normale Olmeken. Sie waren Rebellen, Verfemte, die einen verzweifelten Kampf gegen einen übermächtigen Feind führten, und die Gefahr, daß ich in diesen ungleichen Kampf hineingezogen wurde, war groß.
    Aber vielleicht war genau das beabsichtigt. Ich glaubte längst nicht mehr daran, daß die schwarze Raubkatze, die noch immer wie ein Schoßhund neben mir herging und jeden, der sich mir auf mehr als zwei Schritte näherte, wütend anfauchte, durch einen puren Zufall aufgetaucht war. Ebensowenig, wie es Zufall war, daß ich ausgerechnet in dem Moment auf der Spitze der Pyramide erwacht war, als Lasse Rotbart und die Indios ihren verzweifelten Angriff begannen.
    Der Jaguar war das heilige Tier der Olmeken, ein Wesen, vor dem sie beinahe so viel Respekt hatten wie vor Quetzalcoatl selbst, und wer, wie ich, Herrschaft über dieses Tier ausübte, der mußte in den Augen der Indios beinahe selbst einem Gott gleichkommen.
    Nein, hinter alldem steckte ein geheimer Plan. Jemand hatte dieses Tier geschickt, genau im richtigen Moment.
    Aber wozu? dachte ich. Ich war hier, um Hellmarks, oder Odins, Fluch zu erfüllen und Leif Erickson für den Mord und den Verrat an seinem Freund zur Rechenschaft zu ziehen, nicht, um mich in das Schicksal eines ganzen Volkes zu mengen; und ganz bestimmt nicht, um zu einem prähistorischen Robin Hood zu werden und die Rechte der Armen und Verfemten zu verteidigen.
    Aber vielleicht war das eine nicht ohne das andere möglich.
    Setchatuatuan blieb plötzlich stehen und gab auch den anderen ein Zeichen anzuhalten. »Der Zugang zu den Höhlen liegt dort vorne«, sagte er mit einer erklärenden Geste nach Norden. Ich versuchte vergeblich, in der bezeichneten Richtung irgend etwas anderes als unbändig wucherndes Grün und Schatten zu erkennen, aber der junge Olmeke schien genau zu wissen, wovon er sprach.
    »Du solltest hier warten, Herr«, sagte er leise. »Ich werde Späher vorausschicken.«
    Es war das erstemal, daß der Olmeke mich Herr nannte. Ich setzte dazu an zu widersprechen, fing aber im letzten Moment einen warnenden Blick Lasses auf und beschränkte mich auf ein knappes, zustimmendes Nicken. Ich fühlte mich immer weniger wohl in meiner Haut. Fast jeder wird wohl schon einmal davon geträumt haben, zu herrschen, bewundert und verehrt zu werden; niemand spricht gerne darüber, aber solcherlei Träume sind ganz normal und durchaus legitim, solange sie Träume bleiben. Aber sie werden rasch unangenehm, wenn sie sich verwirklichen: Es ist ein widerwärtiges Gefühl, unentwegt angestarrt und beobachtet zu werden, selbst wenn in diesen Blicken nichts Feindseliges ist. Und schließlich war ich nicht hierher gekommen, um mich zum Gott eines primitiven Indianerstammes aufzuschwingen.
    »Es ist gut«, sagte ich. »Ich werde warten.«
    Setchatuatuan wandte sich mit einem sichtlichen Aufatmen um und verschwand zusammen mit drei seiner Krieger im Unterholz. Die anderen bildeten, wie schon die Male zuvor, einen weiten, lockeren Kreis um mich und Lasse und die Wikinger. Ich sah dem Olmeken-Häuptling einen Moment nachdenklich hinterher, wandte mich dann um und ging zu Lasse und seinen Männern zurück. Die Krieger hatten die Trage mit dem Verletzten abgestellt und sich danach zu Boden sinken lassen. Sie wirkten erschöpft und abgerissen; drei Tage nahezu pausenlosen Marschierens durch den dichten Regenwald hatten ihren Preis gefordert. Auch ich fühlte die Müdigkeit immer deutlicher. Keiner von uns würde noch lange durchhalten.
    »Nicht mehr lange«, sagte Lasse, der meine Gedanken zu lesen schien. »Dann können wir ausruhen.«
    Ich setzte mich zu ihm. Der Jaguar ließ sich rechts neben mir nieder. Seine Ohren zuckten, und wieder spürte ich den scharfen Raubtiergestank, den das Tier verströmte. Ich fühlte mich nicht sehr wohl in seiner Nähe, auch wenn ich keine Angst mehr vor ihm hatte. Ich

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