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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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aufklaffende Abgründe hinter uns bringen.
    Als wir endlich ins Freie traten, war ich im ersten Moment fast blind. Es war früher Morgen, die Sonne war noch nicht einmal richtig aufgegangen, und über dem Boden und zwischen den Stämmen des nahen Waldes hing noch grauer Nebel, aber meine Augen hatten sich in den drei Tagen an das dämmrige Licht der Höhle gewöhnt und begannen sofort zu tränen.
    Trotzdem erkannte ich die Gestalt sofort, die zwischen den Bäumen hervortrat und auf uns zukam.
    Lasse Rotbart sah nicht gut aus. Sein Gesicht war blaß, und unter seinen Augen lagen tiefe, dunkle Ringe, die von zu vielen schlaflosen Nächten kündeten. Seine Hände zitterten, und er war so abgerissen und verdreckt, daß er mir nicht extra zu sagen brauchte, daß er einen Gewaltmarsch hinter sich hatte.
    Aber die Freude in seinem Blick war echt, als er mich be-grüßte: »Robert aus Britannien!« rief er aus. »Wie schön, dich wiederzusehen. Wie ist es dir ergangen?«
    »Oh, gut«, antwortete ich mit einem säuerlichen Blick auf Setchatuatuan, der neben mir stehengeblieben war. »Ein hübsches Hotel habt ihr hier. Ich wäre gerne noch ein bißchen geblieben. Auch wenn der Zimmerservice zu wünschen übrig läßt.« Lasse Rotbart verstand wahrscheinlich nicht die Hälfte von dem, was ich sagte, aber er begriff immerhin den Sinn meiner Worte, denn er lachte leise und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter, daß ich fast in die Knie brach.
    »Wo warst du?« fragte ich gerade heraus.
    Lasse machte eine vage Geste auf den Wald hinter sich. »Bei einem der Stämme im Westen«, sagte er. »Den Namen könntest du sowieso nicht aussprechen, Robert aus Britannien. Aber unsere Mission hatte Erfolg.«
    Ich blickte erst ihn, dann Setchatuatuan finster an. »Was zum Teufel hat er vor?«
    Lasse zuckte auf eine Art mit den Schultern, die mir deutlich machte, für wie überflüssig er meine Frage hielt. »Was wir seit Jahren tun wollen und bisher nicht wagten«, antwortete er.

    »Einen Angriff auf Aztlan.«
    Da war es wieder, dieses Wort: die Stadt, von der in meiner Zeit nur noch der Name überliefert war, und auch er mehr als Legende denn als Wahrheit. Manche bezweifelten, daß es sie je gegeben hatte, andere behaupteten, sie wäre die Urheimat der Azteken, von der sich auch der Name dieses Volkes ableitete.
    Nun, vielleicht war ich gerade zurechtgekommen, ihren Untergang mitzuerleben. Vielleicht war ich gekommen, um ihn auszulösen. Ich schauderte. Der Gedanke, in die Zeit einzugrei-fen und vielleicht den Lauf der Geschichte zu verändern, ließ mich innerlich zu Eis erstarren.
    Lasse Rotbart schien meine Gedanken ziemlich genau zu erraten, denn er legte mir abermals und sehr viel sanfter als beim erstenmal die Hand auf die Schulter und sah mir ernst ins Gesicht.
    »Versuch nicht, dich zu wehren«, sagte er. »Was die Götter beschließen, das wird geschehen. Setchatuatuan plant diesen Angriff, seit Erickson kam.«
    »Und er glaubt, ich könnte ihm dabei helfen? Lächerlich.«
    Lasse lachte leise. Aber statt zu antworten, blickte er nur auf den Jaguar herab, der mir wie ein Hund gefolgt war und jetzt mißtrauisch zu ihm hinauffunkelte. Lasse zog ganz instinktiv die Hand von meiner Schulter zurück.
    »Es reicht vielleicht schon, wenn du da bist«, sagte er nach einer Weile.
    »Aber ich bin nicht der große Befreier!« protestierte ich.
    »Und wenn Aztlan das ist, was ich vermute, Lasse, dann werdet ihr alle sterben, wenn ihr wirklich versucht, es anzugreifen.«
    Lasse schwieg einen Moment. Sein Blick wurde ernst, fast mißtrauisch. »Du weißt mehr, als du verrätst«, sagte er schließ-
    lich.
    Ich machte eine unwillige Geste. »Ich weiß überhaupt nichts«, sagte ich. »Aber ich vermute gewisse Dinge. Und wenn ich recht habe, dann haben wir es nicht nur mit einem eroberungssüchtigen Wikinger zu tun, Lasse.«
    »Die Alten, nicht wahr?« vermutete Lasse.
    Diesmal war ich es, der ihn verblüfft ansah. »Woher,«
    »Ich hatte viel Zeit nachzudenken, Robert aus Britannien«, sagte Lasse ruhig. »Du warst sehr erschrocken, als ich von den Alten erzählte. Und in diesen Höhlen … ist etwas. Vielleicht die Macht, die hinter Erickson steht.«
    Seine Vermutung stimmte mit meinen Befürchtungen ziemlich genau überein, aber ich schwieg. »Aztlan«, murmelte ich nach einer Weile. »Wie sieht es aus, Lasse? Warst du dort?
    Hast du es gesehen?«
    Lasses Blick verdüsterte sich. »Einmal«, antwortete er. »Und auch nur von weitem. Aber

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