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Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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verlassen zu wollen, dass Russland sich verändert hat. Aber vielleicht hat er ja auch Recht. Vielleicht lässt man das Ausland ja auch nur in dem Glauben, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht.
    Es handelt sich zwar nicht um eine offizielle Einladung, aber für Nikita Karpins Verhältnisse sind seine Worte geradezu herzlich gewesen.
    Nikitas Samojedenhund Zean war alt und starb, als Joona acht Jahre zuvor bei Karpin zu Besuch war. Joona war damals eingeladen worden, um drei Vorlesungen über die Arbeit zu halten, die zur Ergreifung Jurek Walters geführt hatte. Die Moskauer Polizei jagte damals den Serienmörder Alexander Pitjusjkin.
    Nikita Karpin weiß genau, dass Joona vom Tod seines Hundes weiß. Und er weiß auch, dass Joona weiß, wo er sich aufhält, wenn er über das Eis des Flusses Klyazma geht.

129
    Es ist zehn Minuten nach sieben Uhr abends, und Joona Linna sitzt in der letzten Maschine nach Moskau. Als das Flugzeug landet, ist es Mitternacht in Russland. Es herrscht eisige Kälte, und die tiefen Temperaturen machen den Schnee staubtrocken.
    Joonas Taxi fährt durch die riesigen, monotonen Vororte. Es kommt ihm schon vor, als wäre er in einer Endlosschleife aus düsteren Mietskasernen gefangen, als sich die Stadt endlich verändert. Er kann gerade noch einen Blick auf eine der Sieben Schwestern Stalins werfen – diese schönen Wolkenkratzer –, bevor der Wagen in eine Seitenstraße einbiegt und vor dem Hotel hält.
    Sein Zimmer ist dunkel und sehr schlicht. Es hat eine hohe Decke und Wände, die vom Zigarettenrauch ganz gelb sind. Auf dem Schreibtisch steht ein elektrischer Samowar aus braunem Plastik. Der Evakuierungsplan auf der Innenseite der Tür weist über dem Notausgang einen runden Brandfleck auf.
    Als Joona am einzigen Fenster zur Gasse steht, spürt er durch das Glas die Winterkälte. Er legt sich auf die raue braune Tagesdecke, schaut zur Decke und hört im Nebenzimmer dumpfe Stimmen sprechen und lachen. Er denkt, dass es zu spät ist, um Disa anzurufen und ihr eine Gute Nacht zu wünschen.
    Die Gedanken wirbeln heran, die Bilder verfolgen ihn in den Schlaf. Ein Mädchen wartet darauf, dass seine Mutter ihm die Haare flicht, Saga Bauer sieht ihn an, und ihr Kopf ist voller Schnittwunden, und Disa liegt in seiner Badewanne und summt mit halbgeschlossenen Lidern vor sich hin.
    Um halb sechs vibriert das Handy auf Joonas Nachttisch. Er hat angezogen und unter allen verfügbaren Decken geschlafen. Seine Nasenspitze ist eiskalt, und er muss erst seine Finger anhauchen, ehe er das Wecksignal abstellen kann.
    Der Himmel ist noch dunkel.
    Joona geht ins Foyer hinunter und bittet die junge Frau an der Rezeption, ein Auto für ihn zu mieten. Er setzt sich an einen der sorgsam eingedeckten Tische, trinkt Tee und isst warmes Brot mit geschmolzener Butter und dicken Scheiben Käse.
    Eine Stunde später fährt er in einem fabrikneuen BMW X3 auf der M2 und verlässt Moskau. Schwarzer, glänzender Asphalt verschwindet unter dem Auto, und der Verkehr ist dicht, als er durch Vidnoye fährt. Als er die Autobahn verlässt und auf weißen, kurvenreichen Straßen weiterfährt, ist es schon acht.
    Die Stämme der Birkenwälder stehen wie junge, schmale Engel in der verschneiten Landschaft. Russlands Schönheit ist beinahe beängstigend.
    Es ist ein kalter, klarer Tag, und Ljubimova ist in winterlichen Sonnenschein getaucht, als Joona auf den vom Schnee befreiten Hof vor dem Gutshaus fährt und hält. Er hat gehört, dass dieses Haus früher einmal die Sommerresidenz der russischen Theaterlegende Stanislawski war.
    Nikita Karpin tritt auf die Veranda hinaus.
    »Du hast dich an mein schmutziges Hundchen erinnert«, sagt er lächelnd und gibt Joona die Hand.
    Nikita Karpin ist ein kleiner, breiter Mann mit einem schön gealterten Gesicht, einem eisenharten Blick und einem soldatischen Haarschnitt. In seiner Zeit als Agent war er ein furchterregender Mann.
    Offiziell ist Nikita Karpin kein Angehöriger des Geheimdienstes mehr, aber er ist immer noch dem Justizministerium unterstellt. Wenn jemand herausfinden kann, ob Jurek Walter Verbindungen zu Russland hat, dann ist es Karpin.
    »Wir interessieren uns beide für Serienmörder«, sagt Nikita Karpin und führt Joona ins Haus. »Aus meiner Perspektive kann man sie einerseits als Brunnen betrachten, die man mit ungelösten Verbrechen füllt … was ganz praktisch ist. Andererseits müssen wir sie jedoch ergreifen, um nicht als inkompetent dazustehen,

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