Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
pochen. Dichter Schnee schlägt gegen die Windschutzscheibe.
Er fährt zu schnell und denkt daran, dass Disas Chef angerufen und sie gebeten hat, sich ein Fundstück anzuschauen. Samuels Frau Rebecka wurde vom Schreiner telefonisch gebeten, früher als verabredet zum Sommerhaus hinauszukommen.
Der Sandmann muss in dem Brief, den Susanne Hjälm Jurek Walter übergeben hat, von Disa erzählt haben. Joonas Hände zittern, als er Disas Namen im Handy markiert und sie erneut anruft. Schweiß läuft ihm den Rücken herab.
Sie meldet sich nicht. Joona biegt scharf in den Karlavägen ein und fährt, so schnell er kann.
Es gibt sicher keinen Grund zur Sorge, versucht er sich einzureden. Er muss nur Disa erreichen und ihr sagen, dass sie umkehren und zurückfahren soll. Danach wird er sie irgendwo verstecken, bis Jurek Walter wieder festgenommen worden ist.
Das Auto schlingert in dem braunen Schneematsch auf dem Asphalt, und ein Lastwagen vor ihm gerät bedenklich ins Trudeln. Er ruft noch einmal an, aber sie meldet sich wieder nicht.
Mit Vollgas fährt er parallel zum Humlegården-Park. Die Straße wird von schmutzigen Schneewällen gesäumt, und das Licht der Straßenlaternen glänzt auf dem nassen Asphalt.
Wieder ruft er Disa an.
Die Ampel ist schon auf Rot umgesprungen, aber Joona biegt trotzdem rechts in den Valhallavägen. Ein Betonmischfahrzeug weicht ihm aus, ein roter PKW bremst mit quietschenden Reifen, und gleichzeitig ertönt ein langgezogenes Hupen, als Disa sich plötzlich meldet.
162
Disa fährt vorsichtig über die rostigen Eisenbahngleise auf das großflächige Gelände des Freihafens für Fährverkehr und Güterabfertigung. Der dunkle Himmel ist erfüllt von fallendem, wirbelndem Schnee.
Das gelbe Licht einer Straßenlaterne schaukelt über einem Gebäude, das einem Hangar ähnelt.
Die Menschen gehen mit gesenkten Köpfen, damit ihnen der Schnee nicht in die Augen geweht wird und um sich vor der Kälte zu schützen. In der Ferne sieht man im Schneegestöber schemenhaft und unwirklich leuchtend die große Fähre aus Tallinn.
Disa biegt rechts ab, entfernt sich von der Leuchtreklame der Bananenkompanie, fährt an flachen Industriehallen vorbei und schaut blinzelnd in die Dunkelheit hinein. Lastwagen fahren auf die Fähre nach Sankt Petersburg.
Eine Gruppe von Leuten steht rauchend auf einem leeren Parkplatz. Dunkelheit und Schnee schotten die Welt rund um die kleine Menschenansammlung ab.
Disa fährt an Lagerhaus fünf vorbei durch das Tor zum Containerterminal. Jeder Container hat die Größe eines Sommerhäuschens und kann mehr als dreißig Tonnen wiegen. Sie sind zu etwa fünfzehn Meter hohen Stapeln aufgetürmt.
Eine Plastiktüte fliegt im Wind hin und her. Das Eis auf den Wasserpfützen knirscht unter den Reifen.
Die gestapelten Container bilden ein System aus Gängen für die riesigen Trucks und Zugmaschinen. Disa fährt in einen Schacht, der ihr seltsam schmal vorkommt, weil die Wände zu beiden Seiten so hoch sind. Sie sieht an den Spuren im dunklen Schnee, dass hier vor Kurzem bereits ein anderes Auto gefahren sein muss. Etwa fünfzig Meter vor ihr öffnet sich der Gang zu den Anlegeplätzen am Kai. Hinter den Kränen, die Container auf ein Frachtschiff heben, erahnt man im Schneegestöber Louddens riesige Öltanks.
Wahrscheinlich wartet der Mann mit dem Brettspiel dort hinten auf sie.
Schnee wird auf die Windschutzscheibe herabgeweht, und sie fährt langsamer und schaltet die Scheibenwischer ein, die den leichten Schnee fortwischen.
Weiter hinten steht eine große Maschine, die einem Skorpion ähnelt, der in einem der Seitengänge stehen geblieben ist. In ihren Armen hält sie einen roten Container, der kurz über dem Erdboden schwebt.
Die Fahrerkabine ist verwaist, und die Reifen des Fahrzeugs verschwinden rasch unter dem fallenden Schnee.
Als ihr Handy plötzlich klingelt, bekommt sie ein wenig Angst, lächelt dann aber, als sie sich meldet:
»Du wolltest doch schlafen«, sagt sie heiter.
»Sag mir, wo du jetzt bist«, erwidert Joona mit drängender Stimme.
»Im Auto, auf dem Weg zu …«
»Ich möchte, dass du dieses Treffen vergisst und sofort zurückfährst.«
»Was ist passiert?«
»Jurek Walter ist aus dem Sicherheitstrakt ausgebrochen.«
»Was sagst du da?«
»Ich will, dass du auf der Stelle nach Hause kommst.«
Das Scheinwerferlicht formt vor ihrem Auto ein Aquarium aus leuchtend wirbelndem Schnee. Sie fährt noch etwas langsamer, betrachtet den roten
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