Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
Container, den das Fahrzeug in seinen Krallen hält, und liest:
»Hamburg Süd …«
»Du musst auf mich hören«, sagt Joona. »Wende und fahr zurück.«
»Okay, mache ich.«
Er wartet und horcht auf Geräusche von ihr.
»Hast du gewendet?«
»Das geht hier gerade nicht … Ich muss eine geeignete Stelle finden«, antwortet sie leise, als ihr plötzlich etwas Seltsames ins Auge fällt.
»Disa, ich verstehe ja, dass ich ein bisschen …«
»Warte mal«, unterbricht sie ihn.
»Was tust du?«
Sie bremst noch mehr ab und fährt langsam auf ein großes Bündel zu, das mitten in dem Gang auf der Erde liegt. Es sieht aus wie eine graue Decke mit silbernem Klebeband, die allmählich zugeschneit wird.
»Was ist los, Disa?«, fragt Joona mit gestresster Stimme. »Hast du schon gewendet?«
»Da liegt etwas auf der Straße«, sagt sie und hält. »Ich komme nicht daran vorbei …«
»Fahr rückwärts!«
»Gib mir nur eine Sekunde«, sagt sie und legt das Handy neben sich auf den Sitz.
»Disa!«, ruft er. »Du darfst nicht aussteigen! Fahr weg! Disa!«
Sie hört ihn nicht mehr, ist bereits ausgestiegen und geht los. Leichter Schnee wirbelt in der Luft. Es ist fast vollkommen still, und das Scheinwerferlicht der großen Kräne reicht nicht bis in den tiefen Schacht zwischen den aufgestapelten Metallbehältern hinab.
Seltsame Töne entstehen zwischen den Containern über ihr, wenn der Wind zwischen ihnen hindurchgepresst wird.
In der Ferne blinkt das Warnlicht eines riesigen Gabelstaplers. Die gelben Lichtsignale werden vom fallenden Schnee aufgefangen.
Als Disa in der Stille weitergeht, denkt sie, dass sie das Bündel nur fortheben wird, damit sie an ihm vorbeifahren kann, bleibt dann aber stehen und versucht, ihren Blick zu schärfen.
Der Gabelstapler verschwindet in der Ferne hinter Containern, und zurück bleiben nur das kalte Licht der Autoscheinwerfer und der ewig fallende Schnee.
Es sieht so aus, als würde sich unter der grauen Decke etwas bewegen.
Disa blinzelt und zögert.
In diesem Augenblick ist alles eigentümlich friedvoll und still. Schneeflocken schweben langsam aus einem dicht verhangenen Himmel herab.
Disa steht still und spürt das Pochen ihres Herzens, ehe sie die letzten Meter bis zu dem Bündel geht.
163
Als Joona in den Kreisverkehr biegt, ist er zu schnell, so dass der vordere Kotflügel in den Schneewall kracht und die Reifen über dickes Eis donnern. Er lenkt gegen, rutscht ein wenig zur Seite, gibt noch mehr Gas und fährt vom Bürgersteig herunter und den Lindarängsvägen hinab, ohne nennenswert an Tempo zu verlieren.
Die großen freien Grasflächen am Rande der Stadt sind verschneit und erstrecken sich wie ein weißes Meer bis Norra Djurgården.
Auf der schnurgeraden Strecke überholt er einen Bus, erreicht eine Geschwindigkeit von einhundertsechzig Stundenkilometern, fährt an Mietshäusern aus gelbem Backstein vorbei. Als er abbremst, um links Richtung Hafen abzubiegen, bricht das Auto in den tiefen Rillen im Schnee seitlich aus. Schnee und Eis werden auf die Windschutzscheibe gespritzt. Durch den hohen Zaun des Hafens sieht er, dass im diesigen Licht der Kräne ein länglich schmales Schiff mit Containern beladen wird.
Ein rostbrauner Güterzug nähert sich dem Hafengelände.
Joona lässt den Blick durch wirbelnden Schnee und diesige Dunkelheit über die verlassenen Lagerhallen schweifen. Er biegt scharf zum Hafen ab und rutscht dabei über eine Verkehrsinsel. Rund um das Auto spritzt Matsch hoch, und die Reifen drehen durch.
Die Eisenbahnschranken senken sich, aber Joona gibt Gas und fährt über die Schienen, die Schranken knallen auf das Autodach.
Er rast auf das Gelände des Freihafens. Menschen entfernen sich vom Terminal des Fährunternehmens Tallink, eine dünne Reihe schwarzer Gestalten verschwindet in der Dunkelheit.
Sie kann nicht weit weg sein. Sie hielt an und stieg aus. Jemand bestimmte einen neuen Treffpunkt, zwang sie, hier hinauszufahren, und brachte sie dazu, aus dem Wagen zu steigen.
Er hupt, und Menschen machen ihm auf der Straße Platz. Eine Frau lässt erschrocken ihren Trolley fallen, und Joona überrollt ihn. Es knirscht unter dem Wagen.
Ein Lastwagen fährt donnernd über die Rampe in die Fähre nach Sankt Petersburg. Große Schollen braunen, zusammengepressten Schnees bleiben hinter ihm auf der Erde liegen.
Joona fährt an einem leeren Parkplatz zwischen den Lagerhallen fünf und sechs vorbei und durch das Tor zum
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