Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
sich mit beiden Händen auf den Tisch.
»Für einen Bullen«, setzt Joona seine Bemerkung fort.
Sie lachen und lehnen sich zurück, der Feldwebel kratzt sich errötend an der Nasenspitze.
Joona Linna nimmt ein Glas Mineralwasser an. Er weiß in diesem Moment noch nicht, dass alles, wovor er sich fürchtet, schon bald wie ein Feuersturm aufflammen wird. Er weiß noch nicht von dem kleinen Funken, der auf einen See aus Benzin herabschwebt.
Joona Linna befindet sich in der Festung Karlsborg, um die Nationale Eingreiftruppe im Nahkampf auszubilden. Er tut dies nicht, weil er ein geschulter Ausbilder ist, sondern weil er aller Wahrscheinlichkeit nach derjenige ist, der in Schweden die größte praktische Erfahrung in den Techniken hat, die seine Schüler lernen sollen. Als Joona achtzehn war, absolvierte er seinen Militärdienst als Fallschirmjäger in Karlsborg und wurde unmittelbar nach der Grundausbildung für eine neue Spezialeinheit für operative Aufgaben rekrutiert, die mit konventionellen Militäreinheiten oder Waffensystemen nicht gelöst werden konnten.
Obwohl er vor langer Zeit seinen Abschied vom Militär genommen hat, um die Polizeischule zu besuchen, kommt es immer noch vor, dass er nachts von seiner Zeit als Fallschirmjäger träumt. Dann ist er wieder im Transportflugzeug, hört den ohrenbetäubenden Lärm und starrt durch die hydraulische Luke hinaus. Der Schatten des Flugzeugs fließt über das bleiche Wasser unter ihm wie ein graues Kreuz. Im Traum läuft er die Rampe hinunter und springt in die kalte Luft hinaus, hört das Heulen der Haupttragegurte, spürt den Ruck im Gurtwerk und pendelt nach vorn, als der Fallschirm sich öffnet. Die Wasserfläche kommt rasend schnell näher. Das schwarze Schlauchboot schlägt dort unten schäumend gegen die Wellen.
Joona wurde in den Niederlanden im Nahkampf mit Messern, Bajonetten und Pistolen ausgebildet. Er trainierte, unterschiedliche Umgebungen auszunutzen und innovative Schlagwaffen einzusetzen. Die zielorientierten Techniken bildeten eine spezialisierte Form eines Systems für Nahkampf, das unter dem hebräischen Namen Krav Maga bekannt ist.
»Also schön, wir fangen mit dieser Situation an und machen es im Tagesverlauf dann immer schwieriger«, sagt Joona.
»Wir lernen, wie man zwei Personen mit einer Kugel erschießt?«, bemerkt der große Mann mit dem rasierten Schädel lächelnd.
»Das kann man nicht«, sagt Joona.
»Uns ist aber zu Ohren gekommen, dass Sie das einmal getan haben«, widerspricht die Frau neugierig.
»Aber nein«, wehrt Joona lächelnd ab und streicht sich durch seine hellen, zerzausten Haare.
In seiner Tasche klingelt das Handy. An der Nummer erkennt er, dass es Nathan Pollock von der Landeskriminalpolizei ist. Nathan weiß, wo Joona sich aufhält, und würde mit Sicherheit nicht anrufen, wenn es nicht wichtig wäre.
»Entschuldigen Sie mich bitte«, sagt Joona und meldet sich.
Er leert sein Wasserglas und lauscht zunächst lächelnd, dann immer ernster. Plötzlich weicht alle Farbe aus seinem Gesicht.
»Ist Jurek Walter noch in Haft?«, fragt er, und seine Hand zittert so, dass er sein Wasserglas auf den Tisch stellen muss.
17
Schnee wirbelt durch die Luft, als Joona zu seinem Auto läuft und sich hineinsetzt. Er fährt quer über den großen unbefestigten Platz, auf dem er als Achtzehnjähriger exerziert hat, biegt mit quietschenden Reifen ab und verlässt das Garnisonsgelände.
Sein Herz pocht, und es fällt ihm immer noch schwer zu glauben, was Nathan ihm erzählt hat. Auf seiner Stirn bilden sich Schweißperlen, und seine Hände wollen einfach nicht aufhören zu zittern.
Auf der Europastraße 20 überholt er kurz vor Arboga einen Konvoi von Fernlastern. Er muss das Lenkrad mit beiden Händen festhalten, weil der Fahrtwind der schweren Fahrzeuge seinen Wagen schlingern lässt.
Unablässig denkt er an den Anruf, der ihn während seines Trainings mit der Nationalen Eingreiftruppe erreicht hat.
Nathan Pollocks Stimme war vollkommen ruhig gewesen, als er Joona mitteilte, dass Mikael Kohler-Frost lebte.
Joona war immer davon überzeugt gewesen, dass der Junge und seine kleine Schwester zwei von Jurek Walters vielen Opfern gewesen waren. Und jetzt erzählt Nathan ihm, dass die Polizei Mikael auf einer Eisenbahnbrücke in Södertälje aufgegriffen habe und er ins Söder-Krankenhaus gebracht worden sei.
Pollock berichtete, der Zustand des Jungen sei ernst, er schwebe aber nicht in Lebensgefahr. Er sei noch
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