Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
Küche vorbeikam und sich an einen riesigen Tisch vor einer Fensterreihe setzte, aber Roseanna hatte an allen Fenstern die Vorhänge zugezogen, und obwohl sie mit ruhiger Stimme sprach, zitterte ihr Kopf unablässig.
Die Suche nach den Kindern verlief ergebnislos. Unzählige Male hatte man das Gebiet mit Hubschraubern überflogen, Taucher eingesetzt und mit Schleppankern den Grund abgesucht. Sowohl Freiwillige als auch spezialisierte Hundestaffeln hatten sich an Suchaktionen beteiligt, aber niemand hatte etwas gehört oder gesehen.
Reidar Frosts Blick war der eines eingesperrten Tiers.
Er wollte einfach nur weitersuchen.
Joona saß den beiden Eltern gegenüber und stellte ihnen Routinefragen, etwa ob sie bedroht worden seien, ob jemand sich auffällig oder ungewöhnlich benommen habe, ob sie sich verfolgt gefühlt hätten.
»Alle glauben, dass sie ins Wasser gefallen sind«, flüsterte die Mutter, und ihr Kopf begann erneut zu zittern.
»Sie haben gesagt, dass die beiden manchmal nach dem Abendgebet aus dem Fenster klettern«, fuhr Joona ruhig fort.
»Das dürfen sie natürlich nicht«, sagte Reidar Frost.
»Aber Sie wissen, dass sie sich manchmal hinausschleichen und mit den Rädern zu einem gemeinsamen Freund fahren?«
»Rikard.«
»Rikard van Horn im Björnbärsvägen 7«, sagte Joona.
»Wir haben versucht, mit Micke und Felicia darüber zu sprechen, aber … sie sind Kinder und wir fanden es nicht so schlimm«, erläuterte Reidar und legte sanft eine Hand auf die seiner Frau.
»Was tun sie bei Rikard?«
»Sie bleiben nur kurz und spielen Diablo.«
»Das tun alle«, flüsterte Roseanna und zog ihre Hand fort.
»Aber letzten Samstag sind sie nicht zu Rikard geradelt, sondern nach Badholmen«, fuhr Joona fort. »Sind sie da öfter abends?«
»Das glauben wir eigentlich nicht«, antwortete Roseanna und stand rastlos auf, als ließe sich ihr innerliches Zittern nicht mehr in Schach halten.
Joona nickte.
Er wusste, dass der Junge namens Mikael einen Anruf angenommen hatte, kurz bevor er und seine Schwester das Haus verließen, aber die Nummer des Anrufers hatte sich nicht ermitteln lassen.
Es war unerträglich, mit den Eltern zusammenzusitzen. Joona sagte nichts, war sich aber immer sicherer, dass ihre beiden Kinder Opfer des Serienmörders geworden waren. Er hörte zu und stellte seine Fragen, konnte ihnen aber nicht erzählen, was er wirklich glaubte.
21
Wenn die beiden Kinder tatsächlich Opfer dieses Serienmörders geworden waren und ihre Annahme zutraf, dass er bald auch versuchen würde, ein Elternteil zu ermorden, mussten sie eine Entscheidung treffen.
Joona und Samuel beschlossen, sich auf die Bewachung Roseanna Kohlers zu konzentrieren.
Sie war zu ihrer Schwester im Stadtteil Gärdet in Stockholm gezogen.
Die Schwester wohnte mit ihrer vierjährigen Tochter in einem weißen Mehrfamilienhaus im Lanforsvägen 25 in der Nähe des Lill Jans-Walds.
Nachts bewachten Joona und Samuel abwechselnd das weiße Haus. Eine Woche lang saß einer von ihnen in einem Wagen einige Meter die Straße hinunter, bis es hell wurde.
Am achten Tag saß Joona zurückgelehnt im Auto und beobachtete wie üblich, wie sich die Menschen im Haus darauf vorbereiteten, ins Bett zu gehen. Eine nach der anderen erloschen die Lampen in einem Muster, das ihm schon vertraut war.
Eine Frau in einer silberfarbenen Daunenjacke drehte die übliche Runde mit ihrem Golden Retriever, und danach wurde auch in den letzten Fenstern das Licht gelöscht.
Joonas Wagen stand in der Dunkelheit im Porjusvägen zwischen einem schmutzig weißen Pick-up und einem roten Toyota.
Im Rückspiegel sah er schneebedeckte Sträucher und einen hohen Zaun vor einem Umspannwerk.
Das Wohngebiet vor ihm lag vollkommen still. Durch die Windschutzscheibe betrachtete er den statischen Lichtschein der Straßenlaternen, die Bürgersteige und die schwarzen Fenster der Häuser.
Dann musste er unwillkürlich grinsen, als er an das Abendessen mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter dachte, bevor er hierher gefahren war. Lumi hatte es eilig gehabt, die Mahlzeit zu beenden, um Joona noch genauer untersuchen zu dürfen.
»Ich will aber erst zu Ende essen«, hatte er ihr klarzumachen versucht, aber Lumi hatte ihre altkluge Miene aufgesetzt, über seinen Kopf hinweg mit ihrer Mutter gesprochen und sie gefragt, ob er sich die Zähne selber putze.
»Das macht er ganz toll«, hatte Summa geantwortet.
Sie erzählte schmunzelnd, dass Joona bereits alle Zähne
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