Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
feiner Betonstaub.
»Jetzt habe ich genug«, sagt sie lächelnd und zieht sich die Sackhandschuhe mit dem Mund aus.
Er begleitet sie in die Umkleide der Frauen und hilft ihr, die Bandagen um die Handgelenke zu lösen.
»Du hast dir wehgetan«, flüstert er.
»Nicht schlimm«, sagt sie und betrachtet ihre Hand.
Die verwaschenen Sportklamotten sind schweißnass. Ihre Brustwarzen zeichnen sich unter dem durchgeschwitzten BH ab, ihre Muskeln sind geschwollen und mit Blut gefüllt.
Saga Bauer ist Kommissarin beim Staatsschutz und hat bei zwei großen Fällen mit Joona Linna von der Landeskriminalpolizei zusammengearbeitet. Sie ist nicht nur eine Boxerin auf Profiniveau, sondern auch eine hervorragende Scharfschützin und verfügt über eine Spezialausbildung in Vernehmungsmethoden.
Sie ist siebenundzwanzig Jahre alt, hat Augen so blau wie ein Sommerhimmel, trägt bunte Stoffbänder, die in ihre langen blonden Haare geflochten sind, und ist fast schon unwirklich schön. In den meisten, die sie ansehen, regt sich eine seltsame, hilflose Sehnsucht. Sie zu sehen heißt, sich unglücklich zu verlieben.
Das heiße Wasser in der Dusche lässt Dampf aufsteigen, und die Spiegel sind bereits beschlagen. Saga steht breitbeinig und lässt die Arme herunterhängen, während das Wasser an ihr herabläuft. Ein großer blauer Fleck auf ihrem Oberschenkel verfärbt sich allmählich gelb, und die Knöchel ihrer rechten Hand bluten.
Sie blickt auf, streift sich Wasser aus dem Gesicht und bemerkt, dass Stefan sie völlig unbefangen ansieht.
»Woran denkst du?«, fragt Saga.
»Dass es geregnet hat, als wir das erste Mal Sex hatten«, antwortet er leise.
Sie erinnert sich noch sehr gut an jenen Nachmittag. Sie waren mitten am Tag im Kino gewesen, und als sie auf den Medborgarplatsen hinauskamen, regnete es in Strömen. Sie liefen die Sankt Paulsgatan hinunter zu seinem Studio, wurden auf der kurzen Strecke aber trotzdem klatschnass. Stefan hat später oft darüber gesprochen, dass sie sich völlig ungeniert auszog, die Kleider über einen Heizkörper hängte und anschließend auf seinem Klavier herumklimperte. Damals sagte er, er wisse, dass er sie eigentlich nicht anstarren sollte, aber sie leuchte wie ein Klumpen flüssiges Glas in einer dunklen Glashütte.
»Komm in die Dusche«, sagt Saga jetzt.
»Dafür haben wir keine Zeit.«
Sie sieht ihn mit einer steilen Falte zwischen den Augenbrauen an.
»Bin ich allein?«, fragt sie ihn plötzlich.
»Wie meinst du das?«, sagt er lächelnd.
»Bin ich allein?«
Stefan hält ihr ein Handtuch hin und sagt ruhig:
»Komm jetzt.«
55
Als sie vor dem Glenn Miller Café aus dem Taxi steigen, schneit es. Saga hebt das Gesicht zum Himmel, schließt die Augen und spürt die Schneeflocken, die auf ihr warmes Gesicht fallen.
Das enge Lokal ist bereits gut gefüllt, aber sie haben Glück und finden einen freien Tisch. Kerzen flackern in milchigen Laternen, und Schnee rutscht nass die Fenster hinunter auf die Brunnsgatan.
Stefan hängt seine Tasche über den Stuhlrücken und geht zur Bar, um Getränke zu ordern.
Sagas Haare sind noch nass, und sie fröstelt, als sie ihren grünen Parka auszieht, der am Rücken von der Nässe dunkel geworden ist. Ringsum drehen sich Leute zu ihr um, und sie macht sich ein wenig Sorgen, dass sie vielleicht anderen den Platz weggeschnappt haben könnten.
Stefan stellt zwei Wodka-Martini und eine kleine Schüssel mit Pistazien auf den Tisch. Sie sitzen sich gegenüber und prosten sich wortlos zu. Saga will gerade sagen, dass sie Hunger hat, als ein schlanker Mann mit runder Brille zu ihnen kommt.
»Jacky«, sagt Stefan überrascht.
»Mir war so, als würde es hier stinken«, erwidert der Mann grinsend.
»Das ist meine Freundin«, sagt Stefan.
Jacky wirft Saga einen kurzen Blick zu, ohne sie jedoch zu grüßen. Stattdessen flüstert er Stefan etwas zu und lacht.
»Nein, aber jetzt im Ernst, du musst mit uns spielen«, sagt er. »Mini ist auch hier.«
Er zeigt auf einen untersetzten Mann, der auf dem Weg in eine Ecke des Raums ist, wo ein fast schwarzer Kontrabass und eine halbakustische Gibson-Gitarre bereitstehen.
Saga verfolgt das Gespräch der beiden nicht, in dem es um irgendeinen legendären Gig, den bisher besten Vertrag und eine geniale Quartettbesetzung geht. Während sie wartet, lässt sie den Blick durch das Restaurant schweifen. Als Jacky Stefan von seinem Platz hochzieht, sagt er etwas zu ihr.
»Du willst spielen?«, fragt Saga.
»Nur
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