Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
ausgesprochen informelles Treffen ist«, erklärt Carlos und räuspert sich.
»Was ist passiert?«, fragt Saga.
»Hast du schon einmal von Jurek Walter gehört?«
»Nein.«
»Das haben in der Tat nicht viele … und das ist bestimmt auch gut so«, sagt Verner.
58
Zwei Lichtreflexe tanzen auf dem schmutzigen Küchenfenster, als Carlos Eliasson Saga Bauer ein Dossier überreicht. Sie öffnet die Mappe und schaut direkt in Jurek Walters helle Augen. Sie schiebt das Foto zur Seite und beginnt, den dreizehn Jahre alten Bericht zu lesen. Ihr Gesicht erblasst, sie setzt sich auf den Fußboden und lehnt sich mit dem Rücken an den Heizkörper, liest weiter, studiert die Bilder, überfliegt die Obduktionsberichte und liest die Angaben über das Urteil und die Unterbringung des Verurteilten.
Als sie die Mappe zugeklappt hat, erzählt Carlos ihr von Mikael Kohler-Frost, der dreizehn Jahre lang vermisst wurde, nun jedoch wieder aufgetaucht ist.
Verner spielt auf seinem Smartphone die Tondatei ab, in der Mikael seine Gefangenschaft und Flucht beschreibt. Saga lauscht der verzweifelten Stimme, und als sie ihn von seiner Schwester erzählen hört, läuft ihr Gesicht rot an, und ihr Herz schlägt schwer. Sie mustert das Foto in der Mappe. Das kleine Mädchen mit seinem filzigen Zopf und dem Reithelm lächelt, als hätte es etwas Lustiges, aber eigentlich Verbotenes geplant.
Als Mikaels Stimme verstummt, steht sie auf und geht in der leeren Küche auf und ab, bis sie schließlich am Fenster stehen bleibt.
»Die Landeskripo steht wieder genau da, wo sie vor dreizehn Jahren schon einmal gestanden hat«, erläutert Verner.
»Wir wissen nichts … aber Jurek Walter weiß Bescheid, er weiß, wo Felicia ist, und er weiß, wer der Komplize ist …«
Verner erklärt ihr, dass es unmöglich ist, mit konventionellen Verhörmethoden oder mit Hilfe von Psychologen und Geistlichen die Wahrheit aus ihm herauszuholen.
»Selbst Folter wäre nutzlos«, sagt Carlos und versucht, sich in die Fensternische zu setzen.
»Und warum machen wir es nicht wie sonst?«, fragt Saga. »Wir brauchen doch nur irgendeinen verdammten Spitzel zu rekrutieren, das ist doch praktisch das Einzige, was unsere Organisation macht, außer …«
»Joona meint … entschuldige, dass ich dich unterbreche«, fällt Verner ihr ins Wort, »aber Joona meint, dass Jurek Walter einen solchen Spitzel einfach brechen würde, wenn dieser versuchen würde …«
»Und was zum Teufel brauchen wir dann?«
»Unsere einzige Chance besteht darin, einen ausgebildeten Agenten in Jureks Abteilung einzuschleusen«, antwortet er.
»Warum sollte er sich ausgerechnet mit einem anderen Patienten unterhalten?«, fragt Saga skeptisch.
»Joona hat uns aufgefordert, einen so außergewöhnlichen Agenten zu finden, dass Jurek Walter neugierig wird.«
»Neugierig worauf?«
»Auf den Menschen … und nicht nur auf die Möglichkeit zu fliehen«, antwortet Carlos.
»Hat Joona meinen Namen genannt?«, fragt sie mit ernster Stimme.
»Nein, aber du bist unsere erste Wahl«, antwortet Verner mit Nachdruck.
»Und wer ist die zweite Wahl?«
»Keiner«, antwortet Carlos.
»Wie stellt ihr euch das rein praktisch vor?«, erkundigt sie sich tonlos.
»Die bürokratische Maschinerie läuft bereits auf Hochtouren«, sagt Verner. »Beschluss führt zu Beschluss, und wenn du den Auftrag akzeptierst, musst du nur noch auf den laufenden Zug aufspringen …«
»Wie verlockend«, murmelt sie.
»Wir organisieren ein Gerichtsurteil gegen dich – Sicherheitsverwahrung in der geschlossenen Gerichtspsychiatrie und sofortige Verlegung ins Krankenhaus Karsudden.«
Verner geht zum Wasserhahn und füllt seinen Becher auf.
»Wir haben herausgefunden – was übrigens ziemlich clever von uns war – … dass wir uns auf eine Formulierung berufen können, die in einem alten Beschluss des Landschaftsverbands steht … er stammt aus der Zeit, als der Sicherheitstrakt in der Löwenströmschen Gerichtspsychiatrie eingerichtet wurde.«
»Darin steht klar und deutlich, dass die Abteilung drei Patienten aufnehmen soll«, ergänzt Carlos, »aber dreizehn Jahre lang haben sie sich dort ausschließlich um Jurek Walter gekümmert.«
Verner trinkt vernehmlich einige Schlucke Wasser, zerknüllt anschließend seinen Becher und wirft ihn ins Spülbecken.
»Die Krankenhausleitung hat weitere Patienten stets abgelehnt«, fährt Carlos fort, »aber sie wissen natürlich, dass sie bei einer direkten Anfrage dazu
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