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Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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einen Song«, ruft Stefan ihr lächelnd zu.
    Sie winkt ihm nach. Das Stimmengewirr im Raum wird leiser, als Jacky das Mikrofon nimmt und seinen Gast vorstellt. Stefan setzt sich ans Klavier.
    »April in Paris«, sagt er kurz und schlägt die ersten Töne an.

56
    Saga sieht, dass Stefan seine Augen halb schließt, und bekommt eine Gänsehaut, als die Musik den ganzen Raum ausfüllt und verdichtet und die gedämpfte Beleuchtung schimmernd und sanft werden lässt.
    Jacky beginnt, ganz sachte Akkorde hinzutupfen, und der Bass setzt ein.
    Saga weiß genau, wie sehr Stefan das liebt, kann aber gleichzeitig nicht einfach darüber hinwegsehen, dass sie verabredet hatten, endlich einmal nur zusammen zu sitzen und sich zu unterhalten.
    Darauf hatte sie sich die ganze Woche gefreut.
    Langsam isst sie einige Pistazien, fegt die Schalen zusammen und wartet.
    Eine seltsame Angst davor, dass er sie einfach verlassen könnte, erfasst sie, und ihr wird plötzlich eiskalt. Sie denkt, dass sie irrational reagiert, weiß nicht, was mit ihr los ist, und ermahnt sich innerlich, nicht so kindisch zu sein.
    Als ihr Drink leer ist, nimmt sie Stefans. Er ist nicht mehr kalt, aber sie trinkt ihn trotzdem.
    Sie schaut zum Ausgang und wird im selben Moment von einem Mann mit roten Wangen mit dem Handy fotografiert. Sie ist müde und denkt, dass sie nach Hause und ins Bett gehen sollte, würde aber gerne vorher noch mit Stefan sprechen.
    Sie hat den Überblick darüber verloren, wie viele Stücke die drei mittlerweile bereits gespielt haben. John Scofield, Mike Stern, Charles Mingus, Dave Holland, Lars Gullin und eine lange Version eines Liedes, dessen Titel sie vergessen hat, von der gemeinsamen Platte Monica Zetterlunds mit Bill Evans.
    Saga betrachtet den Haufen bleicher Nussschalen, die Zahnstocher in den Martinigläsern und den leeren Stuhl ihr gegenüber. Sie geht an die Bar und bestellt eine Flasche Grolsch, und als sie auch diese geleert hat, geht sie auf die Toilette.
    Einige Frauen schminken sich vor dem Spiegel, die Toilette ist besetzt, und sie muss eine Weile anstehen. Als die Kabine endlich frei wird, geht sie hinein, schließt ab, setzt sich und starrt die weiße Tür an.
    Auf einmal raubt ihr eine alte Erinnerung alle Kraft. Sie muss an ihre Mutter denken, die mit ihrem von der Krankheit gezeichneten Gesicht im Bett lag und die weiße Tür anstarrte. Saga war damals erst sieben und hatte versucht, sie zu trösten und ihr zu sagen, dass es ihr bald wieder besser gehen würde, aber ihre Mutter wollte ihr nicht die Hand geben.
    »Hör auf«, flüstert Saga sich in der Toilette zu, aber die Erinnerung will nicht weichen.
    Ihrer Mutter ging es schlecht, und Saga musste das Medikament holen und ihr helfen, die Tabletten zu nehmen und das Wasserglas für sie halten.
    Saga saß neben dem Bett ihrer Mutter auf dem Boden und sah sie an, holte eine Decke, wenn sie fror, und versuchte jedes Mal, wenn ihre Mutter sie darum bat, ihren Vater anzurufen.
    Als ihre Mutter endlich einschlief, erinnert sich Saga, hatte sie selbst die kleine Lampe ausgeschaltet, war zu ihr ins Bett gekrochen und hatte sich in ihre Arme gelegt.
    Sie denkt sonst nie daran zurück, sorgt sonst immer dafür, die Erinnerung zu verdrängen, aber in diesem Moment ist sie von ihr überrumpelt worden, und als sie die Toilette verlässt, pocht ihr Herz.
    Ihr Tisch ist immer noch verwaist, die leeren Gläser stehen darauf, und Stefan spielt immer noch. Er hält Augenkontakt zu Jacky, ihre Improvisationen bilden einen spielerischen Dialog.
    Vielleicht liegt es an den Drinks oder an der Erinnerung, dass sie so unklug reagiert. Jedenfalls zwängt sie sich zu den Musikern durch. Stefan ist mitten in einer langen, mäandernden Improvisation, als sie eine Hand auf seine Schulter legt.
    Er zuckt zusammen, sieht sie an und schüttelt gestresst den Kopf. Sie greift nach seinem Arm und versucht, ihn am Weiterspielen zu hindern.
    »Komm jetzt«, sagt sie.
    »Sag deinem Mädel, sie soll das lassen«, faucht Jacky.
    »Ich spiele«, flüstert Stefan verbissen.
    »Aber wir beide … Wir hatten doch abgemacht, dass wir …«, versucht sie zu sagen und spürt zu ihrem Erstaunen, dass ihr Tränen in die Augen treten.
    »Hau ab«, fährt Jacky sie an.
    »Können wir nicht bald nach Hause gehen?«, fragt sie und streichelt Stefan im Nacken.
    »Verdammt«, flüstert er schneidend.
    Saga weicht zurück und wirft aus Versehen ein Bierglas auf einem Verstärker um, das herunterfällt und

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