Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
verpflichtet sind, sie aufzunehmen.«
»Und genau das wird jetzt geschehen … der Vorstand des Justizvollzugswesens wird zu einer außerordentlichen Sitzung zusammentreten und den Beschluss fassen, einen Patienten aus der geschlossenen Abteilung in Säter und einen Patienten aus dem Krankenhaus Karsudden ins Löwenströmsche Krankenhaus zu verlegen.
»Sollte es so weit kommen, wirst du die Patientin aus Karsudden sein«, sagt Carlos.
»Wenn ich mich auf diese Sache einließe, würde ich demnach als gemeingefährliche Patientin eingewiesen werden?«, fragt sie.
»Ja.«
»Ihr ändert den Strafregisterauszug?«
»Wahrscheinlich würde schon eine Verurteilung ausreichen«, antwortet Verner, »aber wir wollen eine vollständige Identität mit einem Schuldspruch im Amtsgericht und einem gerichtspsychiatrischen Gutachten.«
59
Saga steht mit den beiden Vorgesetzten in der leeren Wohnung. Ihr Herz schlägt schwer, und jede Faser in ihr lechzt danach, sich zu weigern.
»Ist diese Aktion illegal?«, fragt sie und merkt, dass sie einen trockenen Mund hat.
»Ja, natürlich … und sie unterliegt strengster Geheimhaltung«, antwortet Carlos ernst.
»Strengster?«, wiederholt sie und verzieht den Mund.
»Bei der Landeskriminalpolizei werden wir das Ganze so zur Geheimsache erklären, dass dem Staatsschutz jeder Zugang zu den Akten verwehrt bleibt.«
»Und ich werde dafür sorgen, dass der Staatsschutz die Sache seinerseits so zur Geheimsache erklärt, dass die Landeskripo keinen Zugang erhält«, fährt Verner fort.
»Niemand wird hiervon erfahren, es sei denn, es gäbe dazu einen direkten Regierungsbeschluss«, sagt Carlos abschließend.
Die Sonne scheint durch das schmutzige Fenster herein, und Saga schaut auf das geflickte Blechdach des Nachbarhauses. Eine Schornsteinabdeckung funkelt im Sonnenlicht, und sie dreht sich wieder zu den Männern um.
»Warum tut ihr das?«, fragt sie.
»Um das Mädchen zu retten«, antwortet Carlos mit einem Lächeln, das seine Augen nicht erreicht.
»Soll ich euch wirklich abkaufen, dass der Chef der Landeskriminalpolizei und der Chef des Staatsschutzes sich verbünden, um …«
»Ich kannte Roseanna Kohler«, unterbricht Carlos sie.
»Die Mutter?«
»Wir gingen in dieselbe Klasse und standen uns sehr nahe … wir haben … das ist furchtbar schwierig, es war …«
»Dann ist das hier etwas Persönliches?«, will Saga wissen und weicht einen Schritt zurück.
»Nein, es ist … es ist die einzig richtige Vorgehensweise, das siehst du ja selbst«, antwortet er mit einer vagen Geste in Richtung der Mappe.
Als Saga keine Miene verzieht, spricht er weiter:
»Aber wenn du darauf bestehst, werde ich ehrlich sein … Das ist natürlich rein hypothetisch, aber ich bin mir nicht sicher, ob dieses Treffen stattfinden würde, wenn es nichts Persönliches wäre.«
Er beginnt, an der Mischbatterie über der Spüle herumzufingern. Saga beobachtet ihn und glaubt zu wissen, dass er ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt hat.
»In welcher Hinsicht ist es persönlich?«, fragt sie.
»Das tut hier nichts zur Sache«, antwortet er schnell.
»Bist du sicher?«
»Entscheidend ist doch … dass wir es tun, es ist das Richtige, das einzig Richtige … weil wir es für möglich halten, das Mädchen zu retten.«
»Wir schleusen möglichst schnell einen Agenten hinein – das ist alles, es ist keine große Operation«, ergänzt Verner.
»Wir wissen natürlich nicht, ob Jurek Walter irgendetwas Verwertbares erzählen wird, aber es besteht immerhin die Chance … und alles deutet darauf hin, dass es unsere einzige Chance ist.«
Saga steht eine ganze Weile mit geschlossenen Augen am Fenster.
»Was geschieht, wenn ich diesen Auftrag ablehne?«, fragt sie. »Werdet ihr das Mädchen in dieser Scheißkapsel sterben lassen?«
»Wir finden einen anderen Agenten«, erklärt Verner schlicht.
»Dann tut das«, erwidert Saga und geht in den Flur.
»Willst du dir die Sache noch einmal überlegen?«, ruft Carlos ihr hinterher.
Sie bleibt mit dem Rücken zu den beiden stehen und schüttelt den Kopf. Licht fällt durch ihre dichten Haare mit den eingeflochtenen Seidenbändchen.
»Nein«, antwortet sie und verlässt die Wohnung.
60
Saga nimmt die U-Bahn bis zur Haltestelle Slussen und legt das kurze Stück zu Stefans Studio in der Sankt Paulsgatan in aller Ruhe zurück. Auf dem Södermalmstorg kauft sie einen Strauß roter Rosen und überlegt, ob Stefan vielleicht auch für sie rote Rosen
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