Der Sandner und die Ringgeister
konnte, nur locken, quasi die Stimmbänder rumwickeln und zuziehen.
Der Sandner hatte allerdings die Antithese aufgestellt, als Polizist hätte man per se einen masochistischen Kern, von daher tät man in der lang anhaltenden akustischen Qual schwelgen und das Ende möglichst hinauszögern. Zum andern tät er das aus einer Faszination, einem wissenschaftlichen Standpunkt her betrachten, ein Forscher beim Sezieren einer seltenen Spezies – damit ich sehe, wer du bist.
Jedenfalls hatte sie die medizinischen Begriffe auf einen Zettel geschrieben, um sie irgendwann zu googeln, vielleicht abends zur Abschreckung, damit die Anziehungskraft eines guten Pinot Noir nach dem zweiten Glas abnehmen würde. Was sie begriffen hatte, war, dass es eine Chance gab, länger zurückliegende Ereignisse zu erfahren. So weit brennt da noch Licht im Oberstübchen bei der Frau Weiß. Sie hofft, das bezieht sich nicht nur auf Dennis’ Geburt. Das Beibringen würde sie den Ärzten überlassen, entscheidender für sie ist die Frage, ob es einen Kontakt zum Dennis gegeben hat, wo er in München gelebt und was er ihr mitgeteilt hat. Sie zündet sich eine Zigarette an und sieht zum Eingang eines grauen Flachbaus. Für manche die Endstation.
Die Zimmertür ist nicht abgeschlossen gewesen.
Der Sandner braucht einen Moment, um sich zu fassen. Zuerst hat es ausgesehen, als würde der Dennis Weiß auf dem Bett sitzen und Gitarre spielen. Aber da spielt natürlich keine Leiche.
Nur fast genauso aus sieht er, der Mathias Kleinschmidt. Ein dürrer Hering mit strubbeligen schwarzen Haaren und üppig verziert mit Körperkunst. Er lümmelt auf dem Bett, mit Boxershorts und Kopfhörern, den Blick gesenkt, sodass sich der Sandner erst einmal bemerkbar machen muss.
Er geht nahe zu ihm hin und tippt ihm auf die Schulter. Wie der Bursch erschrocken zuckt und den Kopf hebt, fällt dem Ermittler doch ein Unterschied zum Dennis auf. Das Alter – er schätzt den Musiker auf Mitte zwanzig. Während er ihm erklärt, wer er ist und warum er da so hereinspaziert, zieht er sich einen Stuhl heran und hockt sich zum Bett.
»Tot?« Der Mann starrt Sandner ungläubig an. »Was ein Schwachsinn. Ich meine, wir haben gestern noch ... das ist irre.«
Ordentlich schaut es aus, da wäre auch nicht viel Platz gewesen, um Chaos zu schaffen. Zwei Betten, ein Schrank, ein kleines, windschiefes Tischchen und zwei Stühle. Den Bezug kennt der Sandner schon. An der Wand ein Bild mit Sonnenblumen. Eines der Betten ist unbenützt.
Der Polizist vermutet, dass es Dennis’ Schlafstätte gewesen war.
Der Gitarrist steht auf, geht zum Tischchen und greift sich eine Zigarette, blickt dann aus dem Fenster.
»Einfach so tot«, murmelt er.
»Jemand hat ihn umgebracht, und deswegen bin ich hier.«
Der Junge dreht sich um, sein Blick fixiert einen Punkt an der Wand. Eine Fliege putzt dort ihre Flügel.
»Wie irre ist das denn?«
Er schüttelt den Kopf, eine Bewegung, die den ganzen Körper mitnimmt, ein einsames Bäumchen, von der Böe durchgerüttelt. Der Sandner bekommt einen Blick zugeworfen, als wäre er eine Erscheinung, die jeden Moment wieder verschwinden kann.
Das hat er nicht vor. Der Stuhl knarzt unter ihm, wie er die Position verändert, die Beine breit und fest auf dem Boden. Warum sind neun von zehn Hotelzimmern eingerichtet, als hätte das Dekor ein farbenblinder Schimpanse ausgesucht? Hässlich und billig sind scheinbar eineiige Zwillinge.
Der Bursch lässt sich aufs Bett fallen und greift nach der Gitarre, spielt ein paar Läufe.
»Was war gestern Abend nach dem Konzert?«, fragt der Hauptkommissar.
»Wir haben Party gemacht, eine Menge alter Kumpels waren da.«
»Im ›Zenith‹?«
»Ja.«
»Und ihr seids alle beisammen gewesen?«
»Erst schon, aber der Joost ist weg, der bleibt da nie lange, und der Dennis auch. Scheiße, das gibt’s einfach nicht.«
»Wieso ist der Dennis weg?«
»Hat gemeint, er muss noch was erledigen.«
»Wann?«
»Keine Ahnung, so um zwölf oder so.«
»Ist er allein weg?«
»Glaub ich schon, aber es war viel los, weiß ich nicht genau.«
»Und er hat nicht gesagt, wohin? Ist er mit dem Taxi weg?«
»Mir hat er nichts gesagt.«
»Hat er mit jemandem telefoniert – mit wem hat er hier in München Kontakt gehabt?«
»Hören Sie, ich hab keine Ahnung. Was weiß ich, wir haben uns ja nicht überwacht oder so. Ist ja nicht Big Brother.«
»Sie leben hier auf engstem Raum, wochenlang – und nix? Seids ihr euch alle wurscht?
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