Der Sandner und die Ringgeister
Soundcheck, Gig und wieder von vorn. Verstehen Sie? Vielleicht hinterher.«
»Wenns hier ausziehen, gebens mir die Adresse, unter der wir Sie erreichen können.«
»Haben Sie mit Joost schon gesprochen?«
»Ja. Und ich hab mir eure Musik angehört.«
Der Bursche setzt ein Lächeln auf. Jetzt wirkt er wie ein kleiner Bub in zu großen Latschen.
»Und wie finden Sie es?«
»Ist wohl ziemlich hip, das Düstere ... zeitgemäß.«
»Wir könnten alle auch was anderes, aber ...«
»I versteh scho. Was machens jetzt?«
»Mit den anderen reden, weiß nicht, zu meinen Eltern nach Augsburg fahren, vielleicht – und hoffen, dass Sie den Mörder kriegen.«
»Ja, des hoffen wir auch. Ah ja – irgendeine Idee, wo dieser Jens Sobotnik steckt?«
»Der Joost müsste seine Handynummer haben.«
»Ich möcht mir noch die Sachen vom Dennis anschauen.«
»Ja klar, ich ... muss mal unter die Dusche.«
»Eins noch – ham Sie sich ned gefragt, wo er gewesen ist, heut Nacht?«
»Nee, hab mir gedacht, er hatte noch Spaß – is ja kein Kindergarten.«
Der Junge deutet auf einen Alukoffer.
»Ist von Dennis.«
Natürlich hat der Sandner nicht erwartet, da liegt ein Tagebuch obenauf, aber enttäuscht ist er schon, dass er nur auf Klamotten stößt. Auf dem Kofferboden findet er einen Stapel Mangas und einen Gameboy Advance. Ein Griff in die Hosentaschen fördert eine Zwei-Euro-Münze zutage.
»Sagens, wie war das so mit Fanpost, Webblogs, Facebook – ich mein, war der Dennis da fleißig?«
Der Kleinschmidt zuckt die Schultern. Altbekanntes Bild.
»Nee, Dennis ist – war nicht so der Kommunikative, ich glaub, der hat immer Schiss gehabt, er kann nicht das ausdrücken, was er meint. Nur an den Drums war das anders. Er hat nicht viel gelabert. Konnte stundenlang rumsitzen und Mangas anschauen oder X-Box zocken.«
Der Sandner nickt. Er kann das Gefühl nachvollziehen. Manchmal ist eben alles von jedem gesagt.
So kann man sich täuschen. Der Nervenarzt Doktor Wegener, der die Sandra Wiesner in seinem pompös holzgetäfelten Büro empfängt, ist ein kleines Männchen mit einem Spitzbauch und dünnen, fettigen Haaren, die ihm auch eifrig aus den Nasenlöchern spitzen. Sein weißes Hemd sieht aus, als wäre er beim Spaghettiessen im Kindergarten der Ehrengast gewesen, und er riecht nach Zitronenaroma.
Die Wiesner schaut an ihm vorbei, auf das Bild hinter dem Schreibtisch, um nur der Stimme zu lauschen, aber da müsste sie ihn schon als MP3 einpacken, um olfaktorische Wahrnehmungen auszuschließen.
Er muss sich denken, dass sie schielt wie ein schizophrenes Chamäleon, dagegen würde sie die porträtierte Frau vom Gustav Klimt an der Wand selbst als Wasserleiche problemlos wiedererkennen, so sehr studiert sie die Einzelheiten.
Das einführende Gespräch, in dem er all das langatmig wiederholt, was er schon am Telefon zum Besten gegeben hatte, wirkt als verbale Tröpfchenfolter. Ein Meister der Selbstzitate. Salbungsvoller Vortrag, sie wartet auf die Power-Point-Präsentation. Er sagt nie Frau Weiß, immer Patientin.
Schließlich, als sie schon nicht mehr daran geglaubt hat, marschieren sie gemeinsam über ein Dutzend gleichförmiger Gänge zum Zimmer der Frau Weiß.
Der Doktor hatte die Polizei schon angekündigt, und sie sollte auch schon vom Tod ihres Sohnes wissen.
Klein ist sie, die Frau Weiß, höchstens eins fünfzig, und sie sieht aus wie siebzig. Aus den Akten hat die Wiesner erfahren, dass sie gerade mal vierundfünfzig ist. An ihren Unterarmen ist die Haut um die fleischlosen Knochen gewickelt wie alte Putzlappen. Riesige, bläuliche Tränensäcke unter den Augen und eine struppige Kurzhaarfrisur.
»Der Dennis hat mich schon lang nimmer besucht«, wiederholt sie immer wieder, die Stimmbänder klingen eingerostet.
»Der hat nie geschrien, der war kein grantiges Kind, immer nur gelächelt.«
Der Psychiater lächelt auch.
»Die Frau Wiesner ist von der Polizei«, erläutert er ihr. »Ich hab Ihnen doch gesagt, was mit dem Dennis ist.«
Die Frau schüttelt vehement den Kopf.
»Ich weiß schon, was mit dem Dennis ist«, knurrt sie ärgerlich. »Der kam nur ganz selten her.«
»Wann ist er denn zuletzt gekommen?«, will die Wiesner wissen.
Wieder das Kopfschütteln, Verwirrung und tiefe Traurigkeit spiegeln sich in wässrigen Augen.
»Frau Weiß? Wo hat er denn gelebt, der Dennis?«
»Na, im Josephus-Heim halt, in Planegg. Was will die Polizei von mir? Ich hab dem Dennis nie was getan und der Astrid auch
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