Der sanfte Kuss des Todes
gelebt hatte, hatte sie auch Drohbriefe erhalten – allerdings unterschieden sie sich von diesem Brief. Sie waren ihr vom Bruder eines verurteilten Mörders geschickt worden und hatten schlagartig aufgehört, als sie nach Texas gezogen war. Seit fast zwei Jahren war sie nun nicht mehr mit solchen Briefen behelligt worden.
Sollte jetzt etwa alles wieder von vorne anfangen? Würde sie das nächste halbe Jahr wieder ständig über ihre Schulter blicken und bei jedem Gang zum Briefkasten Schweißausbrüche bekommen? Das könnte sie nicht mehr ertragen.
Sie griff zum Telefon und wählte eine Nummer, die sie längst auswendig kannte.
»Devereaux.«
»Hallo Nathan, ich bin’s, Fiona.«
»Ach, gerade habe ich von dir gesprochen.« Er klang fröhlich, das heißt, er war nicht im Dienst.
»Ich habe eine Frage. Weißt du, ob es in Binford ein Gefängnis gibt?«
»Binford?« Seine Stimme nahm sofort einen ernsten Klang an. »Du meinst Binford im Osten von Texas, oder? Nein, da gibt’s kein Gefängnis, es sei denn, du zählst die Ausnüchterungszelle im Büro des Sheriffs dazu. Warum?«
Sie zögerte, es ihm zu erzählen, wusste jedoch, dass es keinen Sinn hatte, einen Mann anzulügen, der seit zehn Jahren im Morddezernat arbeitete. »Ich habe einen Brief bekommen.«
»Einen Drohbrief?«
Sie kaute auf ihrer Lippe herum. »So könnte man es nennen.«
»Was steht drin?«
»Ich werde ihn dir zeigen.« Sie räusperte sich. Es fiel ihr schwer, jemanden um einen Gefallen zu bitten. Andererseits hatte er sie schon oft um irgendwelche Gefälligkeiten gebeten, seit sie freiberuflich für die Polizei von Austin arbeitete. »Wenn ich dir eine Liste der Fälle gebe, an denen ich in Austin beteiligt war, könntest du dann prüfen, ob eine Adresse in Binford dabei auftaucht?«
»Kein Problem. Ich bin morgen im Büro, komm doch einfach mit dem Brief vorbei. Wir untersuchen ihn auf Fingerabdrücke.«
Sie seufzte erleichtert auf. »Danke.«
»Und fass ihn nicht an. Steck ihn in eine Tüte und …«
»Ich kenne das Prozedere, Nathan.«
»Noch etwas«, sagte er, und sie ahnte, was jetzt kam. »Ich habe gehört, du hast Jack Bowman in die Wüste geschickt.«
»Ich habe ihn nicht in die Wüste geschickt. Ich habe ihm nur gesagt, dass ich den Fall nicht übernehmen will, und ihm auf dem Anrufbeantworter in seinem Büro eine Nachricht mit dem Namen und der Adresse von einem Kollegen aus Dallas hinterlassen.«
»Jack will dich. Er glaubt, dass du die Beste bist und weißt, wie sein Vergewaltigungsopfer zu nehmen ist.«
»Ich frage mich, wie er auf diese Idee kommt.«
Er lachte. »Tja, nun. Ich gebe einfach überall mit dir an.
Dank deiner Hilfe konnten wir mehr Fälle lösen als alle anderen Teams zusammen.«
»Ich muss aufhören mit dieser Arbeit, Nathan. Ich brauche …«
»Ich weiß, was du brauchst, und das ist sicher nicht noch mehr Zeit, die du mit dir allein verbringst. Ruf Bowman noch mal an. Hilf ihm bei diesem Fall.«
Langsam fing sie an, sich zu ärgern. Es nervte sie, wenn Männer ihre Entscheidungen hinterfragten, so als wüsste sie nicht selbst, was gut für sie war. Daran war schon mehr als eine ihrer Beziehungen gescheitert.
»Danke für das Kompliment, aber ich möchte dich bitten, mir keine Aufträge mehr zu vermitteln.« Oder gar Detectives .
Ein Piepsen zeigte an, dass jemand versuchte, sie zu erreichen, und Fiona nutzte die Gelegenheit, um das Gespräch zu beenden. »Können wir morgen im Präsidium weiterreden? Da klopft gerade jemand an.«
»Klar, dann bis morgen.«
Sie nahm das andere Gespräch an, kam aber nicht einmal dazu, Hallo zu sagen.
»Was machst du?«, fragte ihre Schwester.
»Jetzt gerade?«
»Ja, jetzt gerade. In ebendieser Sekunde.«
Fiona blickte zu dem unberührten Glas. Der Wein war inzwischen wahrscheinlich warm. Abgesehen von dem Wein wartete an diesem Abend keine weitere Zerstreuung auf sie. »Nichts Besonderes«, sagte sie etwas zögernd.
»Super! Dann kannst du mich ja in den Continental Club begleiten.«
Fiona seufzte. Ein verrauchter, lauter Nachtclub, der gesteckt voll war mit irgendwelchen Möchtegern-Rockmusikern,
war so ziemlich das Letzte, wonach ihr heute Abend der Sinn stand. Courtney wollte sie wahrscheinlich sowieso nur dabeihaben, damit sie nicht allein herumstand, bis sie den Typen rumgekriegt hatte, der diese Woche auf ihrem Schirm war.
Entweder das, oder ihr Auto war mal wieder kaputt, und sie brauchte einen Chauffeur.
»Fi? Bist du noch da?«
»Heute
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