Der sanfte Kuss des Todes
sie, »geht Sie nun wirklich nichts an.«
Sie legte den Gang ein, und er trat zwei Schritte von dem Auto weg. »Stimmt. Also dann … passen Sie gut auf sich auf.«
Sie lächelte zu ihm hoch. »Ich passe immer auf mich auf.«
KAPITEL 3
Der Himmel hinter Fionas Fenster war immer noch dunkel, als sie ihre Bettdecke beiseiteschob.
Den Gedanken an Schlaf konnte sie vergessen. Es brachte auch nichts, sich weitere zwei Stunden im Bett herumzuwälzen, davon bekam sie höchstens einen steifen Nacken. Sie wickelte sich in ihren Morgenmantel aus grüner Seide, schlüpfte in ihre Flip-Flops und tappte in die Küche, um Kaffee zu kochen. Während die Maschine zu zischen und zu brodeln begann, fiel ihr Blick auf ihre Füße.
Warum kannst du nicht wie andere Leute barfuß rumlaufen? Du bist so verdammt zwanghaft.
Das hatte Aaron einmal zu ihr gesagt, und sie war froh, dass es ihr mittlerweile nichts mehr bedeutete. Dann ging sie eben nicht gerne barfuß, mochte keine laute Musik und konnte es nicht leiden, wenn im Kühlschrank leere Milchpackungen standen – na und? So war sie eben, und es ging niemanden mehr etwas an, ob sie zwanghaft oder pedantisch war oder man einfach nicht mit ihr zusammenleben konnte.
Sie lebte wieder allein und das war gut so.
Der Kaffee war fertig, und sie schenkte sich einen Becher
ein, während sie im Geiste ihren Tag durchging. Sie würde wie geplant beim Polizeipräsidium vorbeifahren, aber statt Nathan den Brief persönlich zu übergeben, würde sie ihn zusammen mit der Liste ihrer Fälle beim Empfang für ihn hinterlegen. Dann wäre sie früher auf dem Weg nach Graingerville und könnte sich darüber hinaus ein Gespräch ersparen, das sie eigentlich nicht führen wollte. Zumindest noch nicht. Wenn sie diesen letzten Auftrag hinter sich gebracht hatte – wenn er ganz und gar erledigt war -, dann würde sie Nathan einen Besuch abstatten und ihm mitteilen, dass sie offiziell aufhörte. Ein für alle Mal. Keine Empfehlungen mehr.
Nicht einmal eine Stunde später trat Fiona aus dem Polizeipräsidium und lief über den Parkplatz zu ihrem Auto. Es war immer noch dunkel. In ihrem Civic drehte sie die Heizung auf und rieb ihre Hände, ärgerlich auf sich selbst, weil sie ihre Handschuhe vergessen hatte. Während das Auto langsam warm wurde, ging sie die Wegbeschreibung durch, die sie sich aus dem Internet geholt hatte. Geschätzte Fahrzeit zwei Stunden und dreizehn Minuten. Gegen acht würde sie die prosperierende texanische Metropole Graingerville mit ihren 10 320 Einwohnern erreichen.
Mit etwas Glück würde sie vor Jack Bowman in seinem Büro sein.
Sie wusste nicht warum, aber der Gedanke, ihm voraus zu sein, selbst in einer so unbedeutenden Angelegenheit, bereitete ihr Vergnügen. Wahrscheinlich hatte das damit zu tun, dass er sie überredet hatte, eine, wie sie geglaubt hatte, unumstößliche Entscheidung über den Haufen zu werfen. Sie hatte wirklich fest vorgehabt, ihm eine Abfuhr zu erteilen. Aber als er ihr gesagt hatte, dass es in dem Fall um zwei Mädchen ging, war sie ins Wanken geraten. Und dann hatte es nur noch eines kleinen Anstoßes bedurft.
Sie hatte den Verdacht, dass er das alles genau geplant hatte.
Jack kehrte zwar den hartgesottenen Macker heraus, aber für einen Cop wirkte er ziemlich empfindsam. Diesen Eindruck hatte Fiona jedenfalls gewonnen, als er über die Mädchen gesprochen hatte; es klang, als fühlte er sich persönlich für ihr Schicksal verantwortlich. Im Lauf der Jahre hatte sie eine Menge Detectives kennengelernt, die mit Leib und Seele Polizisten waren, aber die meisten von ihnen schienen eine gewisse Distanz zu ihrer Arbeit zu wahren, was es ihnen wahrscheinlich überhaupt erst möglich machte, sie Tag für Tag zu erledigen. Jack dagegen wirkte überhaupt nicht distanziert, vielmehr schien ihm der Fall sehr nahezugehen. Fiona konnte das verstehen, ihr ging es genauso, und das war einer der Gründe, warum sie nicht mehr für die Polizei arbeiten wollte.
Sie nahm die Auffahrt zur Interstate 35 in Richtung Süden und warf einen Blick auf den Town Lake, als sie die Brücke überquerte. Selbst um diese Zeit waren bereits die ersten Jogger auf der beleuchteten Uferpromenade unterwegs.
Sie hatte heute eigentlich auch vorgehabt, Sport zu machen. Aber genauso wenig, wie sie sich Zeit fürs Malen freischaufeln konnte, schaffte sie es ins Fitness-Studio. Von Tag zu Tag schien sich mehr Arbeit vor ihr aufzutürmen, und wenn keine Fakultätssitzung oder ein
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