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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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siehe da, wie gewichtig spreizten sich Zehn- und Zwanzig-Piasterstücke! Wie lieblich und bescheiden blinkte der halbe Frank! Und nun gar, während er die Münzen gleiten ließ, blendete ihn das gelbe Auge eines englischen Pfunds, des dicken, kleinen, gekerbten Rädchens in der Verwaltungsmaschine, das sich nach Millionen dreht, und das, wenn es sein muß, so unhörbar arbeiten kann, daß man sein Dasein kaum spürt; aber es ist da, und seine Treibriemchen sind gar fein gesponnen und reichen weit!
    Daûd fühlte förmlich, welch ein Fluidum von unendlicher Angst und von herzklopfendem Argwohn unsichtbar über der Stelle schwebte, wo er das Geld gefunden. Das war seit Jahren hinterzogener Zins, gehäuft auf das Erbteil des Vaters und Großvaters; von letzterem stammte offenbar eine befremdliche türkische Münze, die ihm jetzt zu Gesicht kam. Sicherlichwaren die Gedanken beider Eltern mit diesem Schatz verwoben und verquickt; so völlig zwar, daß das Gedankenbildchen mit dem Hühnerstall auf einmal, bei Traumempfänglichkeit, in des Sohnes Hirn zum Vorschein gekommen war. So war das Idyll unter der Tonscherbe doch im letzten Grunde nicht behütet; denn zäher Geiz bei beschranktem Kopf denkt nichts als: mein Geld! Heissa, mein wohlverwahrtes Geld! – – Und so ein Hirnchen, das in diesen Gedankenkreis gerät, lauscht auf wie ein Raubwild, das Witterung erhalten hat, und weiß zunächst nicht woher; dann aber lenkt es der Instinkt unfehlbar an die Quelle.
    Während Daûd sich nun Aug' in Auge mit dem Gelde sah, kam ihm wohl der Gedanke, sich ein einziges, ja, bloß ein einziges der größeren Stücke anzueignen, und er schüttete bis auf ein Vierschillingstück die Beute in den Sack zurück. Die Münze mit den Fingern umklammernd, wollte er zurückweichen; da aber überkam ihn ein plötzlicher eiskalter Schreck: ihm war, als wandere sie, als strebe sie selbständig aus seiner Hand zurück wieder unter die Scherbe zu den anderen; und seine abergläubischen Augen glaubten in der Ecke ein Wesen zu erkennen, einen erdfarbenen Afrid von der Gestalt des Dabbûs, der hoch und fein wie eine junge Katze schrie, nicht laut, nur so, als ob dem Lauschenden das Trommelfell erklinge. Daûd verscharrte eiligst seine Beute; dann floh er aus dem Stall, am ganzen Leibe zitternd.Er dämpfte seine Angst dadurch, daß er in dem Wohn- und Schlafraum bei der Feuerstelle nach Essen suchte und von enthülstem Ful und Fleischstückchen, die er hinter der Handgetreidemühle entdeckte, eine Mahlzeit hielt. Sein Appetit war so mächtig, daß ihn seine Befriedigung der Zukunft gegenüber völlig gelassen machte. Denn nun (er hörte sie schon von weitem schnaufen) kamen die Eltern zurück.
    Sie atmeten hörbar durch die Nasen und waren ermüdet. Zunächst rührte Daûd sich in der Ecke nicht und verhielt sich mäuschenstill, da er sein böses Gewissen spürte, als er die Eltern sah. Es war halbfinster geworden; durch die Tür sah man noch einen schwefelgelben Streifen am Himmel. Doch war es noch hell genug, daß Daûd die Züge seiner Ernährer betrachten konnte. Sie waren tief durchfurcht und mürrisch. Dabbûs kam herein und verschwand wie ein Gespenst in einem Winkel. Umm-Dabbûs hantierte mit allerlei und sprach mit sich selbst. »Nun sucht sie den Ful«, dachte Daûd. Wahrhaftig, das tat sie; und als sie ihn nicht fand, ward sie recht ungehalten. Sie beschuldigte zunächst Dabbûs, und dann den Vater, der die Zumutung in bilderreichen Wendungen von sich wies. Immerhin schoß damit der Unmut ins Kraut, und die zermürbten Leute schrien sich mit schallenden Stimmen und leidenden Gesichtern an. Endlich beruhigte sich die Frau und zündete eine Funzel an, um noch ein letztes Mal zu suchen, und bei dieser Gelegenheit beleuchtete sie Daûd.»Schande über dich, du Unband«, schrie sie, zunächst nur aus ihrer Stimmung heraus; hierauf fuhr sie ihm mit sehr schnellen Fingern an den Mund und roch an ihrer Hand. »Oh, Unheil über dich Auswurf – du hast den Ful gegessen!!« Sie schwenkte ihre Hand zur Bestätigung gegen den Vater, der wie ein Gewitter näher kam. Er rüstete sich, Daûd zu prügeln, und dabei kamen ihm auch dessen andere Sünden zum Bewußtsein, was seinen Eifer förderte. Daûd wand sich ihm jedoch wie eine Schlange unter den Händen weg, so daß der alte Fellache im entscheidenden Augenblick mit seinem Grimm allein war. Seine müde, eckige Gestalt drehte sich ratlos, da er nicht wußte, wohin Daûd entschlüpft war. Da die Funzel

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