Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
Vom Netzwerk:
oder ein blühender Kaktusstock. Meistens zwar wuchsen diese Dinge nicht auf des Bakelschwingers eigenem Acker, sondern es waren wahllos aus dem Korân gezerrte Reminiszenzen oder Aussprüche obskurer Dichter, die er irgendwo erhascht undso pompös von sich tat, daß man es für eigene Eingebung halten mußte und für den gelegentlichen Einfall eines glänzenden Geistes. Es dauerte nicht lange, da kannte Daûd diese Wendungen auswendig und zählte deren acht oder zehn; mehr wurden es nicht, trotzdem er sehr acht gab, und so begnügte er sich und freute sich jedesmal, wenn er mit ihnen Wiedersehen feierte. Dabei spürte er zum erstenmal ein dunkles Bedürfnis, selbst so hübsche Bilderchen zu prägen, eigene, keine gestohlenen Perlen im geheimen aufzureihen – ja, sogar Predigten zu erdichten, die er, in Ermangelung verständnisvolleren Publikums, an Mauern, Ziegen, Katzen oder Kälber hielt.
    War die Schule aus, so bekam er zumeist von den Vätern seiner Freunde einen Imbiß. Diese Väter hielten vor ihren offenen Basaren Mittagsmahlzeit; sie aßen Zwiebeln, Gurken oder geschmorte Saubohnen, die sie mit Brotstücken aus der Brühe fischten. Zuerst hatte Daûd, wenn er Hunger spürte, das übliche Liedlein der Bettler gesungen, als der rechte Gassenjunge, der er war; er hatte die Straße hinuntergeflötet: »Meine Mittagsmahlzeit muß deine Gabe sein!« oder »O Mitleiderwecker; o Herr!« Und da er das sehr melodisch sang, lauschten die Tafelnden auf, lachten und winkten ihn heran. – Am meisten fiel für ihn an den Abenden ab, wo er singen konnte: »O Nacht des herrlichen Freitag!« Denn dann war das Volk gütig und vergnügungssüchtig, füllte die Brasserien und die Cafés oder ging Zigaretten rauchend in einTingeltangel, ein hellblau gestrichenes Lehmhaus mit einem schreienden, etwas mitgenommenen Plakat, das Daûd schon oft mit Herzklopfen betrachtet. Bekam Daûd nichts, so begnügte er sich mit einem Zuckerrohr, das er irgendwo stahl, und zerschliß es geräuschvoll saugend mit seinen kräftigen Zähnen. Er lehnte sich dann an die zementierte Nilbrüstung und sah die Fellucken landen und abfahren, unter dem unendlichen Gezänk der Bootsleute, oder er blickte den Wasserträgern zu, die, im Seichten hockend, das schmutzige Naß mit den hohlen Händen blitzschnell in die Ziegenschläuche füllten.
    Seit Daûd jedoch in der Schule zu einem Musterschüler und Vorsprecher aufrückte, ward sein Ruhm von seinen Freunden nicht verschwiegen, und so hatte er es nicht mehr nötig, sich lüstern an die Kaufleute heranzuschleichen und auf dem Magen Kreise zu beschreiben; sondern sobald die Männer ihn in Begleitung ihrer Halbwüchslinge kommen sahen, machten sie eine kleine einladende Gebärde mit der Hand, nebenhin und fast höflich. Manche unterbrachen ihr Gespräch sogar mit einem kurzen: »Sei Allahs und des Propheten Gast und meiner dazu.« Darauf erlaubten sie seinen zuvor gewaschenen Händen zugleich mit den ihren in den Kübel zu fahren.
    Daûd bekam in den Läden vielerlei zu sehen, und seine Augen war nie müßig. Der bescheidene Luxus der Auslagen beschäftigte seine Phantasie wie ein üppiger, leider immer viel zu flüchtiger Traum. Trotzalledem fühlte Daûd sich behaglich und neidlos nach der Vorschrift jenes uralten Liedchens, das überall gelegentlich aufklingt, des stoischen Tagediebliedchens:
    »Gott danken wir,
Daß wir leben dürfen,
Ob wir Honig
Oder Zwiebeln essen,
Ob wir auf Steinen
Oder auf Seide schlafen!«
----
    Daûds Genossen waren brauner als er; ja, einer, dessen Vater ein Silberschmied aus Omdurman war, völlig schwarz mit straff gespannter Haut auf dem schnauzenähnlichen Kinn ... Die Haut war zu karg bemessen und zog den Mund auseinander, wodurch das Gebiß glanzvoll schier bis zu den Backenzähnen herausbläkte. Dieser Sawân (so hieß er) war ein großer Springer vor dem Herrn; er hatte als ein rechter Sudanese keine Waden, sondern steinhartes, gleichmäßig um das Schienbein gruppiertes Fleisch und ebenso hornige Schenkel, weshalb es ihm im Laufen keiner gleichtat. Ein anderer, Afr, eines Bäckermeisters Sohn, verkaufte das ringförmige Weizenbrot, das er an Stäben aufgestapelt in einem Korb vor dem Bauche trug. Dieser war es besonders, der Daûd nie hungern ließ, ja sogar Zwiebeln und Gewürz stahl, womit man eine fürstliche, eifersüchtig geheimgehaltene Mahlzeit hinter dem Tor einer Hoteleinfahrt oder in einemtrockenen Bewässerungsgraben hielt. Dadurch nun, daß Afr beim

Weitere Kostenlose Bücher