Der Sang der Sakije
Brotschleppen das Kreuz täglich stundenlang höhlte, bekam sein Gang auch in der Muße etwas Drolliges und unnatürlich Gestrecktes, wie der einer schwangeren Frau; und sein Hinterteil trat so steil heraus, daß er zuweilen unter Prügeln zu leiden hatte, deren Motive ihm dunkel blieben. – Dies nun war das Verhängnis Afrs, des Brotverkäufers.
Eines Dritten noch Erwähnung zu tun, so war dies Saffâr, der Sohn eines Schneiders, ein kleiner Berberiner und stämmiger Krauskopf, der Unschönste zwar, aber am farbigsten Gekleidete von Daûds Freunden. Er besaß eine für sein Alter gewaltig gellende Stimme, die er in Anpreisung seiner Ambrakerzchen zur Geltung brachte. Dafür, daß er mit diesem süßlichen und beliebten Weihrauch hausierte, bezog er einen Piaster für den Tag und war somit der reichste unter den Knaben. Wiewohl er sehr tierhaft und wenig umgänglich war, zog man ihn zu allen Unternehmungen hinzu ...
Die vier Jungen lauerten, wenn sie ihrer Geschäfte ledig waren, an den Hotels, um Esel herbeizurufen, sobald die Fremden herauskamen, mit kleinen, frisch erhandelten Peitschchen tändelten und sich nach einer Reitgelegenheit umtaten. Dann fuhren die Knaben frisch von ihrem Scherbenspiel aus dem Staube in die Höhe und unternahmen einen wilden Wettlauf nach dem nächsten Eselstand. Je eher man, wenn auch ungebeten, das Tier herbeischaffte, um so mehr Aussichthatte man auf einen zuweilen herrlichen Entgelt. Sawân pflegte dabei, wie erklärlich, den Löwenanteil einzuheimsen.
Den weißen Esel, den Daûd damals wahrgenommen, bevor er zum erstenmal die Schule betrat, sah er jetzt häufig, fast täglich, und er trieb einen kleinen Kultus mit ihm in seinem Herzen. Denn er bemerkte jetzt auch, daß der Esel am Hals entzückende geschorene Muster trug, pikant ins Fell gezauberte Arabesken, desgleichen am Bauch, an den Hinterbacken und an der Wurzel des Schwanzes, um die der Künstler einen vielzackigen Stern gebildet. Es war nicht so sehr der propre Esel, der ihn beschäftigte, sondern vielmehr das auf ihn gegründete, neiderregende Dasein des Treibers, jenes älteren humoristischen Knaben mit der blauen Kelabije, der Geld machte, und dessen Gerte wie eine Wünschelrute auf die Taschen der Fremden wirkte ...
Eines Abends war Daûd im Besitz eines großen Piasters und trollte durch die Gassen. Nachdem er sich hinlänglich an einer alten chinesischen Wahrsagerin sattgegafft hatte, die blaue Hosen trug und auf offener Straße unter großem Andrang die Augen eines Steinarbeiters kurierte, kam er an dem Tingeltangel mit dem schreienden Plakat vorüber. Das rhythmisch klirrende Gedröhn der Tamburine lockte ihn an; es drang aus einem mit Hanfgeruch durchsetzten Tabaknebel; und durch die zeitweise zurückwallende, geflickte Samtportiere sah er entzückt sich wiegende Köpfe schimmern.Grob hinausgeworfen, als er sich hineinstahl, legte er seinen Piaster hin und erntete ein erstauntes Grinsen des würdig an der Kasse hockenden Besitzers. Denn wo gibt es einen Gassenjungen, der einen Piaster auf dem Altar einer Illusion opfert!
Dann war er drinnen.
Vor sich sah er zunächst eine Menge verschiedenfarbiger, leerer Pantoffeln, dann eine lange Reihe hochgezogener Füße, deren Zehen sich regten, als versuchten sie es beifallspendenden Händen gleichzutun. Auf einer langen Bank, die Knie im Sitzen gespreizt, die Köpfe von seidendurchschossenen, gefransten Baumwolltüchern oder turbanumsponnenen, blaubetroddelten Tarbuschen bedeckt, saß die Auslese der Honoratioren von Luksor. Sie blähten sich in olivgrünen oder braunen Mänteln, und aus den Ärmelstücken der seidenen gestreiften Hemden fuhren, da sie lebhaft sprachen, gestikulierende Finger hervor. Sie hatten Ringe, diese Finger, mit billigen, bunten Halbedelsteinen oder nachgemachten Skarabäen besetzte Ringe; und Daûd, der sich, ganz klein und unsichtbar, auf dem Boden halb unter eine Bank geflüchtet, ward überrieselt von dem Anblick und von dem Gedanken, welch himmlisches Wohlleben doch auf Erden möglich sei.
Er verhielt sich ganz still und genoß.
Am Ende des Saales befand sich eine mit Kalkfarben bemalte Wand, die, wenngleich sie bloße Staffage war, Daûd im Augenblicke mehr fesselte als das, was sich vor ihr abspielte.Das Gemälde stellte eine Landschaft oder einen Garten vor. Zwei gelbe Straßen, von schnurgeraden Bächen begleitet, durchfurchten ihn in mißhandelter Perspektive. Eine Allee von runden, grünen Bäumen jagte hinter der einen Straße
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