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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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Kleid aus schwarzem Atlasstoff, das auf einen üppigeren Körper berechnet schien und nach allen Seiten hin in schwere Falten ausfloß. Unter dem verhüllenden Kopftuch, dessen Quasten die Schultern schier belasteten, und dessen zu einem Dreieck gefaßtes Ende den Rücken herabwallte, lebte, gleichsam versteckt in einer Umrandung von dünner Seide, ein kleines Gesicht. In seiner feinen Wachsfarbe rührten sich ungeheuer große schwarze Augen, unnatürlich erweitert, erschreckt, abwehrend, ruhe- und ratlos. Die Lider, unfaßbar zart wie die äußersten Blätter gelblicher Rosen, erschienen fein und krankhaft durchblutet und trugen blauschwarze Wimpernsäume, deren nachgefärbte Treffpunkte die vollkommene Mandelform des arabischen Auges erzeugten.
    Die Frau hielt ihr Gesicht geduckt, so, als erwarte sie eine Demütigung. Der Nacken war gekrümmt, und die Flügel der zierlich modellierten Nase bebten unablässig wie die eines Nagetieres. Um so erstaunlicher war die Stimme. Sie war zu weich, um in eine kreischende Färbung überzuschlagen, aber auch wieder zu scharf, um gütig zu wirken. Es war eine Stimme, hinter der eine breite Erfahrung von Leid stand, sie war von der Seelenlosigkeit eines durchgehaltenen Sopran-E, das man ohne jede Absicht, es warm erschwellen zu lassen, nur zur Probe auf seine Reinheit anstreicht. –
    Sie eröffnete nun, in reinstem Französisch, die Unterhaltung.
    »Sie sind Hassan-Muharram? Oder vielmehr, Sie nennen sich so?«
    Der junge Mann bestätigte.
    »Ich bin entzückt«, sagte sie mit leerem Ausdruck und sah ihn an.
    Auf einmal ging eine kleine Arbeit, ein kleines Ringen nach Konzentration durch ihre Gestalt; sie zog sich gleichsam etwas zurück und schmiegte sich tiefer in den Stuhl. Bei dieser Bewegung entblößte der Hals sich ein wenig: ein Kettenschmuck von fabelhaftem Wert ward vorübergehend sichtbar.
    »Sie werden etwas erstaunt gewesen sein, Hassan-Muharram, daß ich Sie anonym hierherbeschied .... Sie befanden sich vorgestern bei einer Dame, die mir befreundet ist! Sie erzählten ihr allerlei!«
    Schweigen.
    »Sie waren lange dort .... Sie kannten einander! Sie hatten das Bedürfnis sich auszusprechen und teilten ihr auch ein wenig von Ihrer Abkunft mit .... Aus alledem schloß ich, daß Sie ohne Zweifel – mein Sohn sind.«
    Sie sprach dies mit der gleichen leblos hohen Stimme. In ihre Augen trat dabei lediglich der Ausdruck einer schattenhaften Neugier; sie lächelte weder, noch deutete sie durch die geringste Bewegung an, daß ihre Eröffnung von irgendwie tieferem Belang sei. Als sie die Wirkung wahrnahm, die ihre Worte auf ihn machten, verstärkte sich diese Miene kalter Neugier, als habe sie irgendein gleichgültiges Erperiment gewagt und sei längst in der Lage, die Folgen zu tragen.
    Er war zurückgesunken und hatte die Hand auf die Augen gelegt. Die Erfüllung war da ... und in ihm reckte sich ein Knabe auf, braun und hochfahrend, der in irgendein trübes Dunkel hinein, in ein erbärmliches Dunkel, mit einem alten, tierischen Fellachen Abrechnung hielt, der mit schriller Stimme einen Dithyrambus auf ein unbekanntes Leben sang, zu dem ihn durch viele Verwandlungen hindurch sein Blut unwiderstehlich treiben mußte .... Und nun, nun stand er am Tor dieses Lebens; denn das Herz lebte, von dessen Blut er dereinst gezehrt!
    Diese Frau da ... seine Mutter! Er sah sie noch nicht an, denn das Bewußtsein, daß sie vor ihm saß, umschattete ihn wie ein plötzlicher Schwindel. Eine Minute blieb er regungslos sitzen, wie gelähmt von derunerwarteten Eröffnung. Ja, nun war es so, wie er bereits vorhin geahnt, auf dem Weg hierher ... und sein Blut lief schneller um; als sei etwas in seine Adern geschleudert, wie ein plötzlicher, seliger Antrieb, eine natürliche Befeuerung, die ein inneres Hemmnis, das er bis jetzt mit sich herumgetragen, herrlich zersprengte und ihn erwärmte ... in seinem vorher noch leeren und glatten Gesicht zuckte es auf, das Gefühl überwältigte ihn. Und außer sich vor Freude erhob er sich, und seine Hand tastete hinüber, der ihren entgegen, die regungslos wie ein totes Ding auf dem Schoße lag. Doch als er sein Gesicht dem ihren näherte, um es auf beide Wangen zu küssen, hielt er inne und sank zögernd und fassungslos zurück ....
    Sie sah ihn noch immer starr an mit ihren mandelförmigen großen Augen. Aber in diesen Augen war ein Funken erwacht, ein kleiner böser Schimmer, und das Gesicht verzog sich jetzt wild und hysterisch, so daß aus der

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