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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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ein Leinenhemd, über das es ständig stolpert; dann nimmt es den Zipfel in den Mund und lernt laufen. Es sammelt im Staub; sein Dasein spielt sich unter den Mauern oder im Licht der Bogenlampen ab; es kriecht unter den Tischen durch und bettelt mit weinerlicher Katzenstimme. Oder wenn es besserer Kaste ist, erhält es einen Miniaturtarbusch und viel zu große Stiefel, Erbstiefel, in die es hineinwächst, und lenkt den tappenden Schritt seines blinden Großvaters unermüdlich durch das Gedränge der Mouski ....
    Oder es sitzt in einem Harem in der seidenen Mulde zwischen zwei gespreizten prallen Knien und verlangt nach einer blauen Brustwarze, die es irgendwo hinter einem Wirrwarr von Ketten wittert; sie wird hervorgeholt, und es versinkt in eitel Duft und Letzung. Vielleicht spielt man dann mit ihm, befingert es, findet es fett; leise Kehlstimmen lachen über seinen Trotz, und mehrere braune Frauen nähern sich und wollen es säugen, selbst wenn es längst zu schlafen begehrt ....
    Es sind vielleicht verwirrend viele Brüste da, an denen es sich gelabt hat. Es sind vielleicht viele weiche Hände da, die es tätscheln und an ihm zerren. Es sind vielleicht viele Stimmen da, die sich weich oder kreischendstreiten, wem es als Spielzeug dienen soll. Aber es gibt nur eine Stimme, die es kennt, nur eine Brust, die ihm ganz behagt, und zu ihr findet es unfehlbar zurück; es kriecht und kämpft sich durch, an all den farbigen Schuhen, den Pfeifenschläuchen, den Puderbüchsen, den Pralinéschachteln vorbei, bis es leise gurrend zu seiner Quelle zurückgefunden hat, bis es wieder bei seiner Mutter ist.
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    Ein junger Mann in ausgesucht leuchtender Kleidung schritt die Mouski herab.
    Beim Gehen achtete er sorgfältig auf seine Schuhe.
    Sein Gesicht war leichtbraun und nicht unschön. Besonders auffällig erschienen darin die Wimpern der weichgeschlitzten Augen und die kohlschwarzen hochsitzenden Brauen. Sonst bot die Erscheinung einen für ihr offenbar noch jugendliches Alter recht ausgesprochenen Fettansatz und einen Zug von – wenn man so sagen will – dauernder Unausgeschlafenheit. Zuweilen griff er mit der kleinen, üppig beringten Hand in die Außentasche des Jacketts und wischte sich mit einem seidenen Tuch die von drei wulstigen Falten zerschnittene Stirne ab.
    Bei Sednaoui, einem großen Konfektionsgeschäft, angelangt, wählte er ein Dutzend auffallende Strümpfe. Bei der Wahl der Farben bewies er nicht gerade den besten Geschmack. Offenbar liebte er sehr Buntes und Lautes; es schien ihn zu erheitern, und er schien zu finden, dass ihm das stehe.
    Man solle ihm das Päckchen zusenden, sagte er schließlich. Und er nannte eine ganz neu angelegte Straße in der Gegend des Gezirê-Palace-Hotels.
    Er kaufte sodann noch allerlei: ein silbernes Necessaire, einen japanischen Rückenkratzer aus Elfenbein, mehrere Flakons von teurem Parfüm: Hier ward er einer verschleierten Harîm gewahr, die ihn, als er ihr den Vortritt ließ, blitzschnell musterte. »Sie ist alt geworden,« dachte er, »aber das tut nichts.« Er ließ, das Kinn auf die Brust gedrückt, ein Wort fallen; und es schlüpfte unter ihren Schleier und gelangte zu ihrem Ohr.
    Sie verriet sich mit keiner Bewegung.
    Jedoch abends in der Scharia Managh fuhr eine geschlossene Droschke auf einen Schotterhaufen auf; und ehe der Kutscher sie wieder flottmachte, ward sie um einen Insassen reicher. – – – – – – – –
    Am übernächsten Morgen erhielt derselbe junge Mann ein Billett von unbekannter Hand, des Inhalts, daß er in einem bestimmten Hause in der Garten City zur üblichen Besuchszeit erwartet werde. Das Adreßbuch gab ihm lediglich die Auskunft, daß das betreffende Haus in den Händen der Relikten eines kürzlich verstorbenen Scheich Achmed Abd-el-Gawad sei. Dieser früher ungemein einflußreiche Name war ihm geläufig. Er machte ausführliche Toilette und begab sich auf den Weg.
    Mit Absicht nahm er keine Droschke. Allerhand Vermutungen durchkreuzten seinen Kopf. Er rief sichzurück, was er von Abd-el-Gawad wußte. Ja, dieser Bauer aus dem Delta hatte eine erstaunliche Karriere gemacht ....
    Kaum zwanzigjährig, hatte er in Kairo eine Zeitung gegründet, und diese Zeitung war ein politisches Meisterstück gewesen. Sie balancierte recht witzig: sie war türken- und khedivenfreundlich, mithin allen Parteien genehm und das ersehnte panislamische Organ .... So kam sie auch in die Gunst des Sultans, dem im Grunde jeder Angriff auf England, als

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