Der Sang der Sakije
freiheitliche Regung, damals tief verdächtig war, weil er als nächsten Schritt einen Verrat auch an der Türkei witterte.
Dazu hatte sich der schlaue Mensch tief in die Gunst des früheren und nun des jetzigen Khediven gesetzt. Er wurde vom Hof zu allerhand Liebesdiensten verwendet. Unserem guten Abbas-Hilmi verschaffte er reizende Nebeneinnahmen, da man ihn ermächtigt hatte, mit Stellungen zu handeln und die Preise für dekorative Orden anzusetzen .... Kannte man ihn gut, so war es nur eine Geldfrage gewesen, wenn man sich die Brust mit dem Medschidije erster Klasse oder dem Osmanije der dritten zieren wollte ....
Der junge Mann, an diesem Punkt der Überlegung angelangt, dachte daran, daß ihm ein solcher Orden ebenfalls sehr zum Schmuck gereichen werde. Gedankenvoll betrat er einen offenen Schuhputzerladen und ließ sich bedienen. Während er den geschickten Händen zusah, die eine weiche und eine harte Bürste abwechselndschwangen, rekapitulierte er das übrige, was ihm von Abd-el-Gawad zu Ohren gekommen war ....
Ha, dieser Mann war ein Gauner gewesen! Er betrieb die Kuppelei im großen und kannte den Geschmack im Abdin-Palast .... Überall hatte er seine Agenten .... Der Khedive erlöste ihn ziemlich plötzlich von der Redakteurstellung des sehr gelesenen Organs und machte ihn Hals über Kopf zum Schêsch-es-Sadât .... Welch eine Karriere!!
Der junge Mann grübelte weiter, und auf einmal traf ihn eine neue, eine abliegende Vermutung wie ein elektrischer Schlag, so heftig und überrumpelnd, daß er nach Beendigung der Verschönerung noch eine Weile sitzenblieb. Hierauf, sanft zum Aufbruch gemahnt, gab er versehentlich einen halben Frank zuviel .... Es war nach langer Zeit das erstemal, daß er sich in Kleingeld versah.
Draußen, langsam weiterschreitend, spann er den neuen Gedanken aus, und eine nie vorher gekannte, seltsam mit einer süßen Vedrängung verknüpfte Erregung wandelte ihn an. Er ging an den Barracks vorüber und bog hinter dem Semiramishotel in eine stille Gartenstraße ein. Ein prunkvolles, schmiedeeisernes Portal ward ihm aufgetan. Er durchschritt einen reizvoll gepflegten Garten und betrat ein völlig europäisch anmutendes Palais. Eine Marmortreppe hinauf von einem prächtigen, wortkargen Kawassen geleitet, befand er sich alsbald in einem Salon und wurde gebeten, einige Minuten zu warten.
Ein Smyrnateppich von seltener Größe und Feinheit der Knüpfarbeit bedeckte das Parkett. Der Raum wurde durch hölzerne Rolläden vor den hohen Fenstern, deren Brettchen schräg standen, halb verdunkelt. Eine hellblaue, mit zinnfarbenen Preßlilien geschmückte Tapete schadete der Wand. Zerbrechliche Prunkstühlchen, goldlackiert, von verzweifelt sich windendem Rokoko umringten einen schweren Mahagonitisch. Eine stumme Antipathie herrschte zwischen den Möbeln. In der Ecke stand ein Kachelofen aus Steingut, dessen Berechtigung dunkel war. Auf einer Etagere von durchbrochener Holzarbeit zwischen arabischen Nippsachen und wertvollen eingelegten Ziergegenständen blähte ein Porzellan-Amor mit versilberten Brustwarzen sein rosa Fleisch. Hinter der Etagere hingen lebensgroße Photographien: ein schwammiger, mattblickender, üppig uniformierter Herr im Tarbusch mit dem Aspekt eines arabischen Zeremonienmeisters – und neben ihm eine schwarz bekleidete, offenbar sehr schöne Dame von hellerem Teint. Beide Bilder waren farbig übertuscht.
Vor einem Wandschirm, über dessen schwarze Flächen ein goldener Drache von chinesischer Arbeit kroch, stand ein riesiger Rauchtisch von delikatester Ziselierung. Der Duft eines sehr teuren Parfüms füllte die Luft und stimmte schläfrig und traumselig.
Der junge Mann ließ sich auf einem Taburett nieder. Nachdem er etwa eine Viertelstunde gewartet hatte, öffnete sich lautlos eine weiß lackierte Flügeltür. Sie blieb offen stehen; ein Geschöpf trat in ihren Rahmenund sandte den Blick herüber, ohne sich zu rühren und ohne zunächst die von Brillantringen überladene Hand von der Klinke herabzunehmen.
Endlich kam das Geschöpf näher und beschied mit derselben Hand in einer gleichgültigen runden Bewegung den jungen Mann, der sich erhoben hatte, auf einen der zerbrechlichen Stühle. Man setzte sich, und da ein kurzes Schweigen folgte, hatte er vollkommen Muße, sich vorzubereiten, und kam dabei zu dem Ergebnis, daß er etwas Ähnliches bis jetzt noch selten erblickt habe.
Diese Dame trug ein nach der Gepflogenheit vornehmer Harîm recht geräumig geschnittenes
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