Der Sarg: Psychothriller
dass sie die Karte des Psychiaters in ihre Handtasche gesteckt hatte, die an der Garderobe in der Diele hing. Also wieder aus der Küche raus in den Flur.
Es ist niemand mehr hier, stell dich nicht so an.
Ohne sich bewusst dafür zu entscheiden, fing sie an, eine Melodie zu summen, zusammenhangslos, unmelodisch.
Diele, Tasche, Visitenkarte, wie in einem Traum erlebte Eva das alles, wie in Watte gepackt schienen sämtliche Sinneseindrücke zu sein, fast, als beobachte sie sich selbst.
Mit Dr. Leienbergs Karte ging sie zurück in die Küche und überlegte dabei, dass sie das Telefon besser mitgenommen hätte. Andererseits fühlte es sich richtig an, von der Küche aus zu telefonieren. Sie war übersichtlich, bot keine Verstecke für jemanden, der über sie herfallen wollte. Ein paar Augenblicke später hatte sie den Psychiater am Telefon. Er saß im Auto. »Ja, ich bin’s … Eva … Eva Rossbach. Ich … Ich habe ein Problem, hier zu Hause. Jemand ist hier eingebrochen und hat etwas auf meinen Spiegel geschrieben. Im Schlafzimmer.« Für einen kurzen Moment hörte sie nur Hintergrundgeräusche, dann fragte Leienberg ruhig. »Was steht denn auf Ihrem Spiegel?« Sie sagte es ihm.
»Wissen Sie, was das bedeuten soll?«
»Ist das nicht eindeutig? Es geht um den Sarg.«
»Hm … Haben Sie schon die Polizei verständigt?«
»Nein, das … das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich denen nicht diese Geschichte erzählen kann. Die würden mich doch sofort in eine Anstalt stecken.«
»Das sehe ich anders. Ich bitte Sie, Sie müssen …«
»Nein. Können Sie mir helfen, bitte? Können … Können Sie zu mir kommen? Bitte?«
Wieder entstand eine kurze Pause, dann sagte er: »Ich bin in etwa zwanzig Minuten bei Ihnen.«
»Danke«, sagte sie leise und legte auf. Etwas versuchte sich in ihr Bewusstsein zu drängen. Etwas, das sie … das sie vergessen hatte? Aber … Das Badewasser! Sie legte das Telefon nicht zurück, sondern hielt es in der Hand, während sie ins Badezimmer rannte. Die Wanne war bereits übergelaufen. Hastig drehte Eva das Wasser ab und holte Wischtücher aus der Küche, die sie auf die Pfütze vor der Wanne legte, um das Wasser aufzusaugen. Ihr Blick fiel auf die Ablage des Badezimmerspiegels. Dort lagen verschiedene Schminkutensilien, Kajalstifte, Wimperntusche, Lippenstifte. Lippenstifte! Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf, so verrückt, dass sie ihn am liebsten gar nicht zu Ende gedacht hätte, und doch so drängend, dass sie ihm nachgehen musste. Sie nahm sich einen der Lippenstifte, einen roten, und ging damit ins Schlafzimmer. Sie musste sich hinknien, um an eine freie Stelle unter der Nachricht heranzukommen. Sie entfernte die Kappe, drehte den Stift ein Stück weit heraus, dann schrieb sie die gleichen Worte in etwa der gleichen Größe auf den Spiegel. Als sie fertig war, stand sie auf und trat bis zum Rand des Betts zurück.
Lange stand sie so da und betrachtete den Spiegel eingehend, ging etwas näher heran und dann wieder einen Schritt zurück, bis sie endlich sicher war: Diese Schrift hatte mit ihrer eigenen Handschrift überhaupt nichts zu tun. Erleichtert legte sie den Lippenstift auf ihren Nachttisch und ließ sich aufs Bett fallen.
27
Als Menkhoff und Reithöfer das Gelände der Rossbach Maschinenbaubetriebe verließen, fiel eine Mischung aus Schnee und Regen aus dem bleigrauen Himmel und bildete einen schmierigen Film auf dem Asphalt. Das schmutzig wirkende Tageslicht begann sich zurückzuziehen, und die kurze Spätherbstdämmerung sorgte dafür, dass selbst das karge Pförtnerhäuschen mit seiner Beleuchtung wie eine wärmende Insel in dem düsteren Bild wirkte, durch das sie mit hochgeschlagenen Mantelkragen marschierten. Menkhoff hielt kurz beim Pförtner an und sagte: »Seien Sie doch bitte so nett und sagen Herrn Dr. Wiebking Bescheid, dass wir ein anderes Mal wiederkommen. Wir haben auf dem Weg zu ihm seinen Sohn getroffen und uns mit ihm unterhalten. Nun müssen wir leider wieder ins Präsidium. Danke.« Der Mann sah ihn irritiert an, griff dann aber doch zum Telefon.
Unterwegs spekulierten sie darüber, ob nun Oliver Glöckner oder eher Jörg Wiebking gelogen hatte und ob einer der beiden einen Vorteil von Inge Glöckners Tod haben könnte. Letztendlich hielten aber weder Reithöfer noch Menkhoff zu diesem Zeitpunkt einen von ihnen für tatverdächtig.
Im Präsidium ging Menkhoff in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Das kam selten vor,
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