Der Sarg: Psychothriller
betrachtete Leienberg die Worte auf der Spiegeltür. »Das sieht mir aber nicht danach aus, als gäbe es irgendwelche Gemeinsamkeiten im Schriftbild.«
»Ja, das habe ich auch gedacht, aber kann man die Handschrift nicht auch verstellen?«
»Man kann es versuchen, aber es wird einem nicht gelingen. Jede Handschrift hat bestimmte Eigenheiten wie besonders verschnörkelte Buchstaben oder den Neigungswinkel. Und diese Eigenheiten sind immer zu erkennen, egal wie sehr man sich anstrengt.« Wieder wanderte sein Blick zu der Nachricht. »Man müsste die Schriften genauer untersuchen, um ganz sicher gehen zu können. Aber ich habe auch so keinen Zweifel daran, dass nur eine der beiden Nachrichten von Ihnen stammt.«
»Dann bin ich wirklich erleichtert. Zumindest in dieser Hinsicht bin ich also nicht verrückt.«
»Ich halte Sie in keinerlei Hinsicht für verrückt, aber ein Grund zur Erleichterung ist das nicht unbedingt.« Als sie ihn fragend ansah, machte er mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung Spiegel. »Das bedeutet auch, dass definitiv jemand in Ihrem Schlafzimmer war. Und ich rate Ihnen dringend, den Vorfall der Polizei zu melden.«
»Auf keinen Fall.« Eva wandte sich abrupt ab und machte sich auf den Weg zum Wohnzimmer. Leienberg blieb noch eine Weile im Schlafzimmer und kam ihr dann nach. Er setzte sich ihr gegenüber und legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Ich bin kein Polizist, aber für mich deutet alles darauf hin, dass es im günstigsten Fall jemand darauf anlegt, Sie dazu zu bringen, sich selbst für verrückt zu halten, oder wie Sie es auch nennen wollen.«
»Und im ungünstigsten Fall?«
Leienberg überging die Frage. »Gehen wir doch mal logisch an die Sache heran. Sie erwachen plötzlich, eingeschlossen in einen Sarg, und Sie wissen nicht, wie sie dort hineingekommen sind. Sie versuchen alles, um aus diesem Sarg zu entkommen, aber Sie schaffen es nicht. Und dann, ganz plötzlich, erwachen Sie wieder und sind wieder hier bei sich zu Hause, in Ihrem Bett. Sie müssen doch zugeben, dass das nur ein Traum sein kann, Eva.«
»Und die Verletzungen?«
»Gut, Sie haben Verletzungen, die so aussehen, als würden sie von Ihren Versuchen stammen, diesem Sarg zu entkommen. Aber es kann auch tausend andere Gründe dafür geben. Der wahrscheinlichste ist, dass Sie sich diese Blessuren tatsächlich während des Traums zugefügt haben, aber um dazu mehr sagen zu können, werden wir uns noch öfter in meiner Praxis unterhalten müssen.«
Eva kämpfte gegen die Tränen an, die ihr über die Wangen liefen. »Aber diese Nachricht …«
Leienberg nickte. »Ja, und dann bekommen Sie diese Nachricht. Wer weiß von Ihrem Traum?«
Sie dachte angestrengt nach, obwohl sie die Antwort auch gleich hätte geben können. »Nur Wiebke und Sie.«
»Sicher?«
Eva überlegte kurz. »Ja, ganz sicher.«
»Gut. Ich kann Ihnen versichern, ich war das nicht, und – mal ehrlich – halten Sie es ernsthaft für möglich, dass Wiebke etwas damit zu tun haben könnte?«
»Nein, das glaube ich nicht. Also muss es jemand anderen geben, der mir das antut. Aber wenn doch niemand anderer von dem Traum weiß …«
»… dann ist es vielleicht gar nicht der Traum, der gemeint ist, sondern etwas anderes«, beendete Leienberg den Satz.
»Aber was?«, fragte Eva zaghaft und hatte im gleichen Moment Angst vor der Antwort.
»Ich denke, die Betonung der Botschaft liegt nicht auf
beim nächsten Mal
, sondern auf dem
Du
. Dann wird die Bedeutung klar. Beim nächsten Mal wirst
du
vielleicht sterben. Ich befürchte, damit ist nicht das nächste Mal gemeint, das Sie in einem Sarg aufwachen, sondern der nächste Mord. Und das hieße, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder derjenige, der Ihnen diese Nachricht geschrieben hat, möchte Sie wirklich warnen, oder aber jemand versucht, Ihnen gezielt Angst zu machen.«
Eva senkte den Blick. »Aber … was, wenn jemand irgendwie hier hereinkommt … und … und mich betäubt, während ich schlafe. Und mich dahin bringt, wo er den Sarg stehen hat und mich darin einschließt. Und ich kurz darauf aufwache und nicht weiß, wie ich dahin gekommen bin?«
»Und wie ist es möglich, dass Sie sich kurz danach wieder in Ihrem Bett befinden?«
»Er … er könnte zum Beispiel ein Betäubungsmittel in den Sarg einströmen lassen. Wenn ich dann wieder eingeschlafen bin, bringt er mich genau so zurück nach Hause, wie er mich zu dem Ort gebracht hat, an dem der Sarg steht. Ich wache wenig später auf
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