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Der Sarg: Psychothriller

Der Sarg: Psychothriller

Titel: Der Sarg: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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nie gesehen habe, wie die beiden misshandelt wurden. Ich sah immer nur die Auswirkungen, und …«
    »Jeder Polizeibeamte und jeder Arzt werden bei häufigerem Auftreten von gewissen Verletzungsarten bei Kindern sofort hellhörig. Man muss nicht zwingend dabei gewesen sein, wenn ein Kind misshandelt wurde, es genügt vollkommen, wenn man die Auswirkungen sieht, Frau Gerling. Sie hätten sich einfach nur an eine entsprechende Stelle wenden müssen.«
    Sie sah Menkhoff mit einem Blick an, den er fast als mitleidig empfand. »Heute mag das so sein, Herr Menkhoff. Aber vor dreißig Jahren? Wenn ich als kleine Hausangestellte damals mit einem solchen Vorwurf gegen meinen Arbeitgeber und Eigentümer der Rossbach Maschinenbaubetriebe gekommen wäre, hätte ich nicht nur meine Anstellung verloren, sondern mich in Köln nirgendwo mehr sehen lassen können. Und es wäre trotzdem nichts passiert. Nein, jede Einmischung hätte bedeutet, dass ich sofort entlassen worden wäre. Und dann wären die beiden ganz allein gewesen. Verstehen Sie das? Solange ich mich ruhig verhalten habe, konnte ich mich zumindest heimlich ein wenig um die beiden kümmern.«
    Menkhoff nickte etwas besänftigt. Er verstand sogar, was die Frau meinte. »Und wie war das mit Manuels Tod?«
    »Ich erinnere mich gut an diesen Tag im Juli. Als ich morgens die Tür aufschloss, hockte Eva neben der Kommode im Flur auf dem Boden. Sie hatte auf mich gewartet und zog mich gleich in ihr Zimmer. Sie erzählte mir, dass sie nachts Manuels Schreie gehört hatte, und als sie am Morgen nach ihm sehen wollte, sei sein Bett leer gewesen. Eva sollte an diesem Tag zu Hause bleiben, weil ihre Stiefmutter Geburtstag hatte und etwas mit ihren beiden leiblichen Kindern unternehmen wollte.« Sie sah zu Jutta Reithöfer auf. »Wie kann man so etwas nur sagen, zu einem Kind?« Dann senkte sie den Blick wieder auf ihre Hände. »Jedenfalls hatte Eva große Angst um Manuel, weil er allein mit seiner Mutter und Inge unterwegs war.«
    »Wusste denn Inge damals, was ihre Mutter ihren Geschwistern antat?«, wollte Menkhoff wissen.
    »Ich weiß es nicht, sie war ja auch noch relativ klein, aber … na ja, ich denke schon, dass ihr bewusst war, was da um sie herum passierte. Eva ist jedenfalls davon überzeugt, dass Inge nicht nur alles wusste, sondern ihre Mutter mit falschen Anschuldigungen noch zusätzlich dazu angestachelt hat, Manuel und sie immer wieder zu misshandeln.«
    »Wissen Sie, was mich wundert?«, warf Reithöfer ein. »Frau Rossbach hat uns gegenüber nie etwas von Misshandlungen erwähnt, auch nicht, als wir sie gefragt haben, wie sie sich mit Ihrer Stiefmutter verstanden hat.«
    Hildegard Gerling nickte. »Ich weiß. Sie hat es auch mir gegenüber noch nie zugegeben. Es ging ihr immer nur um Manuel. Aber ich habe es gesehen. Sie hat manchmal schlimmer ausgesehen als ihr Bruder. Ich darf mir gar nicht vorstellen, was diese Frau dem Mädchen alles angetan hat. Und heute, als Erwachsene? Wundert sie das wirklich? Ich weiß nicht, ob man Lust hat jemandem zu erzählen, dass man als Kind körperlich schwer misshandelt wurde. Ich denke, sie hat es verdrängt und möchte einfach nicht daran erinnert werden. Sie schämt sich wohl dafür. Ebenso wie für ihre Theorie, was Manuel betrifft.«
    »Von welcher Theorie sprechen Sie?« Reithöfer warf Menkhoff einen schnellen Blick zu.
    Hildegard Gerling stockte einen Moment, dachte offensichtlich darüber nach, ob sie den Polizisten erzählen konnte, was sie wusste. Dann aber kam sie wohl zu dem Ergebnis, dass sie sowieso schon zu viel gesagt hatte, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen, und entgegnete: »Evas Theorie, dass Manuel gar nicht tot ist.«

40
    Eva gab die Hoffnung auf, wenigstens für einen kurzen Moment zur Ruhe zu kommen. Ein Blick auf den Radiowecker zeigte ihr, dass sie seit zwei Stunden im Bett lag. Sie war zwar zwischendurch eingenickt, aber von Erholung konnte nicht die Rede sein, ganz im Gegenteil, sie fühlte sich eher noch ausgelaugter als zuvor. Grundsätzlich war dieser Zustand nichts Neues für sie, und sie war auch schon häufiger deswegen deprimiert und verzweifelt gewesen. Aber dieses Mal hatte sie das Gefühl, das alles allein nicht mehr bewältigen zu können. Zum ersten Mal, seit sie erwachsen war, gestand sie sich selbst ein, dass sie Hilfe brauchte. Es war die unbeschreibliche Angst, die diese Situation so entscheidend schlimmer machte als alles, was sie jemals zuvor als Erwachsene erlebt hatte.

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