Der Sarg: Psychothriller
etwas mit Ihnen reden, aber nicht über die letzte Nacht.«
»Sondern?«
Nun öffnete sie die Augen doch wieder, sah ihn aber nicht an, sondern fixierte eine Stelle an der Decke, einen dünnen Riss, der auf einer Länge von vielleicht einem halbem Meter direkt über ihr in gezackter Linie die weiße Farbe durchbrach. »Ich möchte über meinen Bruder Manuel reden. Ich glaube, dass er noch lebt.«
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»Sie denkt, ihr Bruder ist nicht tot?« Menkhoff sah zur Seite und fing den verständnislosen Blick seiner Kollegin auf. »Wie kommt sie denn darauf?«
Hildegard Gerling zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es auch nicht so genau, aber als Manuels Leiche nicht gefunden wurde, dachte Eva, seine Mutter hätte ihn bei einem ihrer Wutanfälle totgeprügelt und dann verschwinden lassen. Später aber war sie sicher, dass ihre Stiefmutter Manuel weggegeben hatte, vielleicht sogar verkauft, an irgendeinen Kinderschänder. Jedenfalls ist Eva der Überzeugung, dass Manuel auf keinen Fall ertrunken ist.« Sie schob ihre Tasse ein Stück zurück und ließ die Hand auf dem Tisch liegen.
»Hat sie denn auch eine Idee, wo er sich aufhalten könnte? Oder glaubt sie ihn vielleicht sogar gesehen zu haben?«
»Nein, davon weiß ich nichts, aber ich denke, sie ist überzeugt, dass er irgendwo in der Nähe ist und sie beobachtet. Sie und Inge.«
Menkhoff und Reithöfer unterhielten sich noch eine knappe Viertelstunde mit Hildegard Gerling. Beim Verabschieden erfuhren sie, dass Frau Gerling am kommenden Sonntag zurück nach Köln fahren würde. Menkhoff gab ihr seine Karte und bat sie, noch einmal gründlich nachzudenken und sich bei ihm zu melden, falls ihr noch etwas einfiele, das wichtig sein könnte.
»Diese Wiebkings werde ich mir vornehmen, das kann ich dir sagen«, schnaufte Menkhoff, nachdem er sich auf den Beifahrersitz fallen gelassen hatte. Er schnallte sich an, zog dann sofort sein Telefon aus der Tasche und wählte Brosius’ Nummer. Er hatte Glück, sein Chef war am Platz. Nachdem er ihm einen kurzen Bericht über das Gespräch mit Hildegard Gerling gegeben hatte, sagte er: »Schick bitte Riedel zu diesem Glöckner, er soll ihm auf den Zahn fühlen, was er vorletzte Woche bei den Wiebkings zu suchen hatte, und vor allem, warum er uns nichts davon gesagt hat.«
»Warum gerade Udo? Denkst du nicht, es wäre besser …«
»Ich möchte, dass Riedel das macht.«
»Also gut«, lenkte Brosius ein. »Es ist dein Fall, und du wirst wissen, was du tust. Ich schicke ihn gleich los.«
»Danke. Da ist noch was. Frau Rossbach scheint der Überzeugung zu sein, dass ihr Bruder Manuel, der damals im Alter von sechs Jahren angeblich ertrunken ist, noch lebt. Keine Ahnung, wie sie darauf kommt, aber lass doch bitte die Akten von damals überprüfen. Setz jemanden dran, der alles mal genau durchgeht, vielleicht finden wir ja einen Anhaltspunkt, irgendwas, das seltsam ist und darauf hindeuten könnte, dass an dieser Vermutung was dran ist.«
»Wie kommt Frau Rossbach denn auf diese Idee?«
»Keine Ahnung, aber ich möchte nichts übergehen.«
»Gut, ich kümmere mich darum. Bernd … Hast du noch gar nichts?«
»Nichts Konkretes, aber wir sind dran, das weißt du.«
»Also gut.«
»Danke, bis später.« Er steckte das Telefon weg und sah zu Reithöfer. »Gib Gas, ich kann’s kaum erwarten, mich mit Hubert Wiebking zu unterhalten.«
Ziemlich genau zweieinhalb Stunden später betraten Sie Hubert Wiebkings Büro. Er blickte Ihnen ernst entgegen. »Guten Tag, ich bin schon sehr gespannt zu hören, wie weit Sie mit Ihren Ermittlungen gekommen sind.«
Menkhoff setzte sich ohne Aufforderung hin und sah Wiebking an. »Wir sind nicht hierhergekommen, um Ihnen einen Bericht über den Stand unserer Ermittlungen zu geben, sondern um Sie zu fragen, warum Sie uns angelogen haben.«
Wiebkings Oberkörper straffte sich. »Was? Wie kommen Sie darauf, ich hätte Sie angelogen? Ich lüge nicht.«
»Haben Sie nicht gesagt, Sie hätten seit Jahren keinen Kontakt mehr zu Inge Glöckner gehabt und seien nicht mal auf ihre Hochzeit eingeladen gewesen?«
»Aber ja, und das stimmt auch. Ich verstehe nicht …«
»Weshalb war dann Oliver Glöckner vorletzte Woche bei Ihnen zu Hause, Herr Wiebking?«
»Ach, das meinen Sie!« Man sah ihm an, dass er sich ertappt fühlte. »Ja, er war da, aber wie kommen Sie darauf, ich hätte Sie angelogen? Nach ihm haben Sie mich nie gefragt.«
»Jetzt hören Sie auf mit diesen Spitzfindigkeiten!
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