Der Sarg: Psychothriller
ich glaube, er heißt Oliver mit Vornamen.«
»Das ist ja ein Ding. Wann war das?«
Hildegard Gerling dachte angestrengt nach. »Das muss vorletzte Woche gewesen sein, aber an den genauen Tag kann ich mich wirklich nicht mehr erinnern.«
»War er denn öfter bei der Familie Wiebking zu Besuch?«
»Nein, ich habe ihn nur dieses eine Mal dort gesehen. Ich habe ihn ja überhaupt nur erkannt, weil ich ihn auf Inges Hochzeit kennengelernt habe.«
»Ah, Sie waren dort. Sagen Sie, wissen Sie zufällig, was der Grund von Herrn Glöckners Besuch war?«
Sie schürzte die Unterlippe und zuckte gleichzeitig mit den Schultern. »Nein. Ich bin bei der Familie Wiebking angestellt, ich schnüffle nicht hinter ihrem Besuch her.«
»Ja, das verstehen wir«, sagte Reithöfer, und Menkhoff fügte hinzu: »Wir werden Herrn Wiebking fragen, der wird es uns sicher sagen können.«
Hildegard Gerling machte eine besorgte Miene. »Hoffentlich bekomme ich dann keinen Ärger mit Herrn Wiebking, weil ich so geschwätzig war.«
»Keine Angst, Frau Gerling«, sagte Reithöfer beruhigend. »Wir werden ihm klarmachen, dass Sie gar nicht anders konnten, als uns unsere Fragen zu beantworten. Wir ermitteln schließlich in einem Mordfall.«
»Haben Sie den Schlüssel zu Frau Rossbachs Haus zu irgendeinem Zeitpunkt mal vermisst?«, fragte Menkhoff.
»Nein, natürlich nicht, ich achte gut auf Dinge, die mir anvertraut werden. Aber nun sagen Sie mir doch bitte mal, warum interessieren Sie sich für meinen Schlüssel zu Evas Haus? Und was hat das mit Inges Tod zu tun? Ich verstehe das alles nicht.«
Wieder sah Menkhoff seine Kollegin auffordernd an. »Würdest du bitte …«
Jutta Reithöfer skizzierte grob die Ereignisse der vergangenen Tage, und Hildegard Gerling hörte fassungslos zu. Als Reithöfer fertig war, nickte die Haushälterin mehrmals und atmete tief aus. »Ach, das ist alles so schrecklich. Aber wen wundert es? Dass diese Kinder nie ein normales Leben führen würden, war vorauszusehen, und dazu brauchte man keine hellseherischen Fähigkeiten. Arme Eva. Und arme Inge. Sie konnte doch auch nichts dafür.«
»Frau Gerling, könnten Sie bitte etwas genauer werden? Wer konnte für was nichts?« Menkhoff konnte seine Ungeduld nur schwer in Zaum halten.
Hildegard Gerling legte die Hände vor sich auf den Tisch und starrte darauf, während sie den Rand des Taschentuchs Stückchen für Stückchen durch ihre Finger wandern ließen. »Inge. Für ihre Kindheit und ihre Jugend. Dafür, dass sie von ihrer Mutter immer bevorzugt wurde. Und dafür, dass die beiden anderen so … so schlecht behandelt wurden.«
»Mit den beiden anderen meinen Sie Eva und Manuel?«, hakte Menkhoff nach.
Sie nickte, ohne dabei den Blick von ihren Händen zu nehmen. »Ja. Vielleicht hat sie die beiden so gequält, weil sie sich so ähnlich waren. Manuel hat Eva sehr ähnlich gesehen, wissen Sie. Die gleiche Haarfarbe, das gleiche Gesicht, obwohl sie verschiedene Mütter hatten.«
»Können Sie uns das bitte näher erklären? Was heißt das, sie wurden schlecht behandelt?« Reithöfer sah Frau Gerling erwartungsvoll an.
In dem Moment betrat Frau Bellmann den Raum, brachte auf einem Tablett eine Kanne, Tassen und ein Schälchen mit Gebäck herein und stellte alles vor ihnen ab. »So, bitte schön. Ich lasse Sie dann jetzt allein, damit Sie in Ruhe alles besprechen können.«
»Also noch mal, Frau Gerling«, griff Menkhoff den Gesprächsfaden wieder auf, als Frau Bellmann die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Was meinen Sie damit, dass Eva und Manuel Rossbach schlecht behandelt wurden?«
»Ihre Mutter, also Inges Mutter … sie war eine eiskalte Frau, auch Inge gegenüber, aber Eva und Manuel haben richtig unter ihr gelitten. Sie hat sie sehr viel geschlagen. Nie, wenn ich dabei war, aber ich habe es den Kindern angesehen. Die vielen Verletzungen und blauen Flecken, geprellte und verstauchte Arme, die Rücken voller blauer Striemen, manchmal hatten sie so schlimme Verletzungen, dass sie dringend in ein Krankenhaus gemusst hätten, aber das kam natürlich nur in Frage, wenn es gar nicht anders ging.«
»Und was haben Sie getan?«, fragte Reithöfer, worauf Hildegard Gerling sie mit glänzenden Augen ansah.
»Nichts. Und bevor Sie jetzt schlecht über mich denken, kann ich Ihnen sagen, ich habe in den letzten dreißig Jahren sehr oft darüber nachgedacht, ob ich etwas hätte ändern können. Das hätte ich nicht. Ich konnte doch nichts beweisen, weil ich
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