Der Saubere Tod
Lichtspuren hinter sich herzogen, die Bewegung auf weiße beschattete Gesichter malten. Dann dämmerte die Beleuchtung zurück, und alles nahm in Fledermausflattern die Plätze ein.
Johann dachte daran, weswegen er eigentlich nach Berlin gekommen war. Er hatte nicht vorgehabt, bei einer Journalistin zu schlafen und mit ihr ins Kino oder ins Theater zu gehen. Er hatte nicht vorgehabt, der Vertraute eines Musikers zu werden. Er wollte all das eintauschen gegen die Autarkie des Geldverdienens. All das saubere Leben, all die blankgeputzten Gedanken, das war es nicht, was er suchte. Robert hatte ihn interessiert, der Kampf, aber das war Betrug, das war vorbei. Der riesige erleuchtete Raum dieser Stadt hielt ihn in einer steten müden Wachheit, die Entschlüsse vereitelte und ihn von einem Traum in den nächsten,von einem Tag zum andern gleiten ließ, ohne daß er etwas dagegen hätte tun können oder wollen.
Die Bühne verdunkelte sich, und im grünlichen Dämmer erschien über leisem Trommeln eine Gestalt auf der Bühne, die zu tanzen begann in der lauter und härter werdenden Musik, und in grellen Lichtblitzen leuchteten Abbilder ihres Gesichts auf, einmal hier, einmal dort, eines Gesichts, das konsequent zeigte, was die Gesichter der Zuschauer nur ängstlich halbherzig andeuteten. Es war die Göttin, die Göttin, die sie alle erwartet hatten, die Fratze der Kriegsgöttin aus den Alptraumvideos ihres Schlafs. In einem Pirouettenwirbel quer über die Bühne erweckte sie die Menschen zum Leben, die zuvor unsichtbar in der Dunkelheit gelegen hatten. Die Menschen erhoben sich erstaunt, und als die Göttin durch ihre Reihen tanzte, erkannten sie sich und einander und begannen sich roboterhaft zu bewegen; die Männer folgten den Frauen und warben, erste und einzige Idee und Handlung, um ihre Gunst. Die Göttin hockte oberhalb, nachtschwarze Statue einer Fledermaus, und beobachtete das rhythmische Treiben, das sie ausgelöst hatte. Plötzlich änderte sich die Richtung des Reigens. Als sich alle Akteure zu Paaren gefunden hatten, waren es die Frauen, die die Männer mit eindeutigen Blicken, eindeutigen Gesten verfolgten, und es entstand eine geordnete Flucht diagonal über die Bühne, und die Musik untermalte die Hilflosigkeit der Männer, die mit Besitz zufrieden gewesen, jetzt gezwungen wurden, ihre Versprechungen wahr zu machen.
Die Musik schwoll an, und eine neue Gestalt erschien, der Vatergott, der sie alle anzog, Monde, die einen Planeten suchten. Die Kriegsgöttin im Hintergrund wurde vergessen, und im Dämmerlicht war nicht zu erkennen, ob es nicht nur noch ihr Umhang war, der dort oben an der Wand hing. Mit einer Bewegung seines Mantels zog der Gott die Männer mit sich, ließ die Frauen zurück und begann dann sein Solo,er warf die Beine von sich, ein alter Mann, ziegenbärtig, und tanzte zwischen den Männern, ein lächerlicher dämonischer Derwisch; jedem überreichte er ein glitzerndes Häufchen Goldstaub, und damit kehrten sie zu den Frauen zurück, so imstande, sich von den an sie gestellten Forderungen freikaufen zu können.
Plötzlich wurde die Musik dunkel und drohend, und die Kriegsgöttin war wieder da und näherte sich dem ziegenbärtigen alten Vatergott, achtlos glitt sie über die wiederkäuend kopulierenden Leiber hinweg. Ein Kampftanz entbrannte, der immer schneller wurde, immer heftiger, immer wieder sprang der Alte seine Gegnerin an, und als übertrage sich der Wirbel der beiden auf die Wiederkäuer, änderten sich auch deren Bewegungen; das rhythmische Stoßen wurde unregelmäßig, die nackten, wie Hühnerkrallen in die Luft zeigenden Füße der Frauen verschwanden im Dunkel über dem Bühnenboden, der gemeinsame Takt wurde gegenläufig, Liebe wandelte sich zu Kampf, und schließlich tobte Krieg auf der Bühne, immer heftiger, immer gehetzter; immer lauter und härter wurde die Musik, Stahlwerk, das auf Hochtouren lief, dann fiel der Vatergott, erschlagen von der Göttin, deren Gesichter noch immer grell in der Dunkelheit aufblitzten, einmal hier, einmal dort.
Sie schwebte über das Schlachtfeld, und es gab kein Leben mehr, jeder hatte jeden umgebracht, und eine leise Panflötenmelodie segelte über die Walstatt; es blieben Schlaf, Natur und die Göttin. Als die Musik verklang, schritt sie mit ausgebreitetem Mantel über die Toten hinweg und verschwand von der Bühne. Der Wind aber, den ihr wehender Umhang aufstörte, fuhr den Toten in die Glieder, und langsam und sachte erwachten sie,
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