Der Saubere Tod
Barbaras Zimmer. In Barbaras Zimmer gehen hieß zu tun, was man in dem großen Raum nicht tat, dessen Objektivität zu verlassen. Es war warm und dämmrig, und zwei Menschen konnten beieinander sein, ohne daß es lächerlich war. Alles war wieder gut in Barbaras Zimmer, aber Johann wußte, daß das gar nichts änderte, und Barbaras Arme waren fremd wie herabhängende Äste, die ihn berührten, und er dachte die ganze Zeit daran zu gehen, aber er wußte nicht wohin und warum.
Am folgenden Abend kochte Barbara arabisch, und fast alle Bewohner waren da. Angeblich war es einmal anders gewesen, aber jetzt traf man sich nur noch, wenn es um Geld oder den überhandnehmenden Schmutz ging, und wenn jemand aus unerfindlichen Gründen sich bereitfand, für alle zu kochen, ließ sich natürlich kaum einer diese Gelegenheit entgehen.
Nach dem Essen wollten Barbara und Johann ins Kino. Wolfgang, Anatol, Sergej, Daniela und Myra warteten an den zusammengeschobenen Tischen darauf, daß Barbara das Essen servierte. Es war still, es gab nichts zu sagen. Daniela lackierte ihre Fußnägel auf der Tischkante, Myra sah ihr zu. Wolfgang las. Anatol blickte aus dem Fenster. Sergej drehte sich einen Joint.
Dann klingelte das Telefon. Johann nahm ab.
Hallo, wer ist da? sagte eine männliche Stimme.
Johann.
Wohnst du da?
Ja, was gibts?
Hier ist Peter. Ich bringe mich jetzt um.
Ich glaube, du hast dich verwählt, sagte Johann.
Dich kenne ich nicht, sagte die Stimme, aber die anderen kennen mich. Also richt es ihnen aus.
Johann zögerte aufzulegen. Die Stimme war sehr ruhig, nicht beiläufig, aber auch nicht verrückt, sehr ernst und fast drohend in ihrer Ruhe, als bedeuteten die Sätze etwas für alle Entscheidendes; es war die Stimme eines deklamierenden Schauspielers, nicht laut, weich sogar, dennoch messerscharf, und anstatt Johann zum Lachen zu reizen, schnitt sie in ihn wie ein heißes Messer in Butter.
Moment, sagte er und hielt die Hand auf die Muschel. Hier ist einer, der sagt, er heißt Peter und will sich umbringen.
Anatol, Daniela und Barbara sprangen gleichzeitig auf, Wolfgang blieb sitzen, winkte ab und begann seinen Teller zu füllen. Johann übergab den Hörer an Anatol und ging zurück zum Tisch. Die Frauen blieben beim Telefon stehen.
Was? sagte Anatol. Jetzt hör mal zu – was? Nein, das stimmt nicht, das stimmt doch nicht – was? Ja – ja – ja, Peter!
Daniela riß ihm den Hörer aus der Hand.
Peter! sagte Wolfgang mit vollem Mund. Die Schwuchtel! Er winkte ab und kaute. Der hat hier mal gewohnt.
Meint er das ernst? fragte Johann.
Hoffentlich, sagte Wolfgang. Er hat sein Zimmer verwüstet. Das, in dem ich jetzt wohne. Die Scheiben eingeschlagen, Kabel rausgerissen und die Wände angekokelt und beschmiert. Er will sich immer mal umbringen.
Also meint er es nicht ernst? fragte Johann.
Ich hab keine Ahnung, sagte Wolfgang. Fähig ist er zu allem. Du weißt nie, woran du bei dem bist. Aber besser sich als nen andern. Ich bin froh, daß er draußen ist. Mir war erunheimlich. Er kommt ab und zu vorbei, jetzt wohnt er im nächsten Haus.
Johann, sagte Barbara. Er will dich noch mal sprechen.
Johann stand auf und ging zum Hörer. Ja?
Wer bist du? fragte die Stimme.
Johann. Ich wohne erst ein paar Tage hier.
Wir werden uns also nicht mehr sehen.
Warum denn nicht, zum Teufel, rief Johann.
Weil es vorbei ist. Es ist vorbei, und ich gehe, und ich nehme mit, was ich mitnehmen kann.
Johann wollte etwas sagen, aber es fiel ihm nichts Passendes ein.
Wie siehst du aus? fragte die Stimme.
Johann wußte keine Antwort, und dann war es still in der Leitung, und dann wurde aufgelegt. Johann stand da und hielt den Hörer in der Hand.
Wir gehen rüber und sehen nach, entschied Barbara.
Wer zum Teufel ist das? sagte Johann.
Das ist Peter, sagte Anatol.
Ich esse! sagte Wolfgang.
Es klang, als würde einer die Welt zerstören. Die Tür war verschlossen, und man konnte nicht hinein, ihn davon abzuhalten, ihm zu helfen oder wenigstens zuzusehen. Es war ein Klang von Metall auf Metall, von splitterndem Glas, berstendem Holz, dazwischen die Schreie und schnaufender Atem, so deutlich, als sei keine Wand dazwischen.
Peter, hörst du, Peter, hör auf, laß uns rein! rief Anatol.
Peter, laß gut sein, wir sind hier! schrie Daniela.
Er ist verrückt, er ist völlig übergeschnappt, sagte Barbara.
Sie schüttelte den Kopf. Mach auf, sagte sie, aber Peter reagierte nicht.
Plötzlich verstummte der Lärm. Die fünf
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