Der Saubere Tod
B-Hepatitis vermute, eine sehr seltene Form, aber das müsse genauer untersucht werden, und deshalb schlage er Johann eine Leberblindpunktion vor, einen kleinen Eingriff, bei dem man an die Leber direkt herankäme, was, wie Johann sich bestimmt vorstellen könne, natürlich weit praktischer sei als die ewigen Bluttests. Er solle es sich einmal bis nach den Feiertagen durch den Kopf gehen lassen. Wie fühle er sich im übrigen? Gut, sagte Johann und musterte den Arzt. Na, das freue ihn, sagte der, aber es sah eher so aus, als freue er sich darauf, die Chance zu bekommen, eine seltene Krankheit in Johanns Körper nachzuweisen. Johann war diese Einstellung nicht unsympathisch, und er wollte schon sein Einverständnis mitteilen, aber der Arzt sagte ihm, daß ohnehin alles noch bis nach den Feiertagen zu warten habe und insofern auch für die Entscheidung noch drei Tage Zeit blieben. Der Arzt hatte es ein wenig eilig, er freute sich offensichtlich darauf, nach Hause zu kommen, die Feiertage mit seiner Familie zu verbringen und das Krankenhaus eine Weile nicht sehen zu müssen.
Zur Besuchszeit am Nachmittag erschien Barbara. Sie stellte sich ans Fenster, blickte hinaus und erzählte von Beirut, dem Rückzug der Israelis, einer Bombenexplosion in einem Café, deren Augenzeugin sie geworden war; eine Explosion wie aus einem Film, mit fliegenden Balken und riesiger Staubwolke und Toten, blutig, mit Mörtelstaub bedeckt wie rohe Schnitzel mit Paniermehl. Sie erzählte, daß sie das Land mit seinem täglichen Kleinkrieg und Wahnsinn,mit all seinen Idiotien gründlich satt habe und vorerst nicht wieder zurückkehren wolle. Johann fragte, ob sie den Heiligen Abend in der Wohnung verbringen würde, Barbara schüttelte den Kopf, sie hatte sich mit Freunden zum Essen verabredet. Zudem waren einige aus der Wohnung geflohen, und die anderen bemühten sich, Weihnachten zu ignorieren, so gut sie konnten, jeder eifrig auf der Suche nach einer Sicherheitsleine, damit er trotz allem nicht gezwungen sein würde, den Abend allein zu verbringen.
Nach dem Motto: Ich mache nichts Besonderes, Gott bewahre, und du? Auch nicht? Gut, dann können wir uns ja zusammentun und feiern ... verstehst du? sagte Barbara.
Weißt du, was eine Leberblindpunktion ist? fragte Johann.
Keine Ahnung, aber es hört sich nicht gut an.
Kannst du das für mich rauskriegen?
Sicher, sagte Barbara.
Sie sah ihn an, er betrachtete ihr rotes Haar, den weißen Kittel, die blauen Überziehschuhe.
Trotz allem, fröhliche Weihnachten, sagte sie.
Johann mußte lachen. Barbara lachte ein wenig mit.
Ich rufe dich an, was es mit dieser Punktion auf sich hat, versprach sie.
Sie rief noch am gleichen Abend an. Johann wurde ans Telefon ins Stationszimmer geholt, wo ein kleiner Christbaum auf dem Tisch stand und die beiden Schwestern, der Notarzt und die türkische Putzfrau gerade bescherten. Barbaras Stimme klang ein wenig schwerzüngig, aber dennoch ernst und entschieden.
Auf keinen Fall, sagte sie. Ich hab mich erkundigt, ein Freund von mir sitzt hier gleich daneben, der ist Arzt. Folgendes also: Du wirst örtlich betäubt, mußt dich auf die Seite legen, dann stechen sie dir mit einer Hohlnadel zwischen den Rippen durch, direkt in die Leber. Das Ding istmit einem Vakuumbehälter verbunden, und sie stanzen quasi ein Stück aus deiner Leber raus und saugen es ab. Daran kann man dann unter dem Mikroskop Zellveränderungen nachweisen. Das Ganze ist aber recht gefährlich, denn wenn einer nicht richtig zielt, dann können sie die Gefäße oder den Gallengang anstechen, und dann, sagt Rolf hier, ist die Sauerei perfekt. Sie kicherte ein bißchen. Warte mal, ich gebe ihn dir.
Hallo? hörte Johann. Hier ist Rolf. Grüß dich. Also mach das bloß nicht, solchen Blödsinn. Die Ärzte stehen nur darauf, weil es Geld kostet, aber es ist idiotisch, bei einer Hepatitis solche Sachen zu machen. Man wartet einfach ab, bis der Patient sich wieder fühlt, und dann ist der Fall erledigt. Alles klar? Wunderbar.
Zur offensichtlichen Enttäuschung des Stationsarztes, der das Ganze recht persönlich nahm, verbat Johann sich nach den Feiertagen die Punktion. Der Arzt schien danach jegliches Interesse an ihm zu verlieren.
Eines Morgens wachte Johann auf und wußte plötzlich nicht mehr, was er im Krankenhaus zu suchen hatte. Er wusch sich, zog sich an, packte seine Sachen in die Tasche und ging, wie er gekommen war, er sagte niemandem Bescheid, er meldete sich nicht ab. In der
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