Der Saubere Tod
Eingangshalle hing eine Digitaluhr, die auch das Datum anzeigte. Es war der 31. Es war kalt und trocken auf der Straße, und an allen Straßenecken standen kleine Jungen, die Böller zündeten. Es knallte und krachte wie Pistolenschüsse, und Johann ging in dem Lärm der Feuerwerkskörper auf die U-Bahn -Haltestelle zu.
VII
Es war Anfang Januar, und die Oranienstraße glich einer krebskranken Raucherlunge. Die verharschten Schneehaufen auf beiden Straßenseiten waren rußig schwarz bis in die Poren, gelb befleckt von Hundepisse und mit bräunlichen und grünen Haufen gekrönt und garniert. Auf der Fahrbahn hatte der Schnee sich mit Asche, Abgasen und Streusand zu einem braunen Matsch vermischt, durch den die Autos pflügten. Es war klirrend kalt, und in den Läden standen Türken und alte Leute Schlange mit Eimern und Kannen, in die sie sich Wasser füllen ließen, denn die Leitungen und Rohre aller alten Häuser waren eingefroren.
Nichts hatte sich verändert. Johann war fort gewesen und war jetzt wieder da. Seine Anwesenheit wurde von den anderen so gleichmütig hingenommen, als sei er nur eben Zigarettenholen gegangen. Ihm selbst fiel es schwer zurückzufinden, und jeder seiner Schritte war ein unsicheres Tasten auf einem fremden Planeten, dessen Schwerkraftgesetze er nicht kannte. Er verließ kaum das Haus. Die Wohnung war schmutzig, es war Johann nie aufgefallen, wie schmutzig sie war. Ihr Anblick ließ den altbekannten Ekel in ihm aufsteigen, und er begann sie zu reinigen.
Schmierige Fenster filterten die Strahlen der matten Wintersonne, ihr Licht färbte die weißen Wände staubgrau. Ritzen und Rillen des Zementfußbodens waren schwarz vor Dreck, und Staubflocken rollten in Ecken und Nischen und stapelten sich dort zu wolligen Ballen. Klebriges Geschirrmit braunen festgebeizten Speiseresten gammelte in der Spüle, im Zuckersatz der Kaffeetassen waren Zigaretten ausgedrückt, die Aschenbecher quollen über, die Kippen klebten faulig darin, denn die oberste Schicht war, wenn sie nicht ausgehen wollten, mit Wasser gelöscht worden. Der Geruch alter Asche schwamm bitter auf der trockenen Zentralheizungshitze.
Sein eigenes Zimmer reinigte Johann besonders gründlich und entfernte dann alles daraus, was das Auge ablenken oder den Blick einfangen konnte. Er verbrachte ganze Nachmittage an der Waschmaschine oder beim Saugen oder Spülen, und er überstrich die bunten Wände des großen Raumes mit drei Schichten weißer Farbe. Die anderen ließen ihn schulterzuckend gewähren. Sein Zimmer war sauber, seine schlichte schwarze Kleidung frisch gewaschen, seine Haut war rein, sein Körper glatt, und manchmal tat er nichts anderes, als vor seinem Bett zu knien und mit der Hand leicht über das weiße Laken zu streichen und der Schattenlinie zu folgen, die der Fensterrahmen zeichnete.
Johann saß bei Maria und fragte sie nach den großen Zeiten. Peter hat mir gesagt, ich sei zu spät gekommen.
Ashes to ashes, sagte Maria. Jahre wie alle Jahre.
Und doch mußte da etwas gewesen sein, dachte Johann, das er verpaßt hatte, und er mußte davon wissen. Er wußte nicht warum, aber bevor der Tag käme, auf den er wartete, mußte er wissen, was geschehen war.
Witzig war es, sagte Maria. Das ja. Aber tragisch nur für die, deren einziges Abenteuer es gewesen ist, die danach nicht mehr wach wurden. Peter. Ja, Peter. Kein Wunder.
Johann war nicht zufrieden. Er gab keine Ruhe. Was versprichst du dir davon? wollte Maria wissen.
Johann schüttelte den Kopf. Er vermochte es nicht zu sagen.
Was bist du so wild auf Dinge, die vorbei sind? Wiederschüttelte Johann den Kopf. Nichts war vorbei. Gar nichts war vorbei. Eine Vorstellung, die sie nicht wiederholen würden, hatte Peter gesagt. So würde er ihr Theater anzünden. Aber er mußte wissen, was er versäumt hatte. Stumm und unfähig, seinen Wunsch zu begründen, starrte er Maria an.
Schließlich begann sie zu erzählen.
Zu Anfang sah es nach etwas aus. Wie es so manchmal nach ruhigen Zeiten ist, in denen deine Atmung fast zum Stillstand kommt, waren plötzlich alle in Aufbruchstimmung. Es hatte tatsächlich was von Anarchie. Die Mädchen jobbten in der Peepshow, die Jungs lebten von Stütze, es war Bier und Punk, und keiner arbeitete.
Das erste, was ich miterlebte, war die Kottidemo. Wir waren gerade auf dem Weg ins Kino und kamen von unten die Treppe hoch, und da war der Krach schon zu hören. Von allen Seiten strömten die Leute herbei, alle Besetzer, die es schon gab,
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