Der Saubere Tod
und ein Haufen anderer, immer mehr. Damals funktionierte die Kette auch noch, weißt du, eine Telefonnummernliste für die besetzten Häuser. Ich weiß gar nicht mehr, was genau der Grund war, ich glaube, am Fraenkelufer hatten sie Häuser durchsucht, und damals wurde auf solche Provokationen noch sofort reagiert.
Du mußt dir das vorstellen, es war ja die Punkzeit, der ganze Kotti voller Lederjacken, Sicherheitsnadeln, Igelhaare, und dazu noch die ganzen anderen, die Parka-Leute, Bordsteine wurden losgebrochen, und aus allen Richtungen schleppten sie die unmöglichsten Dinge herbei, um in der Adalbertstraße eine Barrikade zu bauen. Die Stimmung kannst du dir nicht vorstellen, es war ein Revolutionsfilm, Panzerkreuzer Potemkin, die Choreografie, die ausholenden Gesten, die trippelnden Bewegungen, sogar in Schwarzweiß, zumindest in meiner Erinnerung, heute ist das alles ein bißchen lächerlich, aber damals sah es nach was aus, direkte Aktion.
Punks und Intellektuelle verbauten gemeinsam Kinderwagen und Teppiche in die Barrikade, und aus den weit geöffneten Fenstern dröhnte die Musik, als sei plötzlich alles möglich, und als die Polizei von weitem auftauchte, da brach wirklich so etwas los wie Revolution, alle wollten was ändern, aber es war natürlich alles Schwachsinn, denn niemand wußte was, und so endete es beim Kaputtschlagen, das aber mit einer solchen Energie und Lust, daß die Bullen sich nicht nähertrauten, dieses eine Mal, sondern in ihrem weiten Kreis innehielten und sich nicht mucksten.
Selbst die haben wohl gespürt, an jenem Tag wäre etwas explodiert, wäre wirklich Revolution losgebrochen, hätte auch nur der geringste Anlaß existiert, die winzigste Provokation außer Schaufenstern. Das war so nur an diesem einen Tag, stärker hab ich es nie erlebt, weißt du, da war keiner, der es ignorierte, der noch seines Wegs ging, selbst die Alten und die Türken mischten sich ein, blieben stehen, begannen auf offener Straße auf die Verhältnisse zu fluchen und stritten mit den Punks über Taktik im Straßenkampf, plötzlich hatten sie alle wieder eine Erinnerung daran, bei manchen muß wohl der alte Kommigeist hochgekommen sein, so denk ich mir die wildesten Zeiten von Weimar.
Plötzlich stieg es in allen hoch, plötzlich ging es zu wie auf einem Forum, und alle redeten sich heiß, sangen sogar, reckten die Fäuste, was weiß ich. Und dann knallte es, und jemand hatte die Scheibe von Aldi eingeschmissen, und die Leute fluteten rein, nicht etwa nur die Punks, allesamt. Plündernde Omas vor den Aldi-Regalen wie beim Schlußverkauf, Türken kamen mit vollbepackten Einkaufswagen rausgerollt, dann war Salamander an der Reihe, den ganzen Laden klauten sie leer, die weißen Schuhkartons flogen nur so, und zwischen den Scherben sahst du Punks und alte Männer auf den Bänkchen hocken und sich gegenseitig mit dem Schuhlöffel in neue Latschen helfen.
Aus dem Optikerladen haben sie tausend Brillengestelle geholt, mit denen kein Mensch was anfangen konnte, aber dortbleiben durften sie natürlich auch nicht, und die Bullen, immer ganz brav im Hintergrund, mucksten sich nicht, die wußten, an dem Tag wären sie unter die Räder gekommen, na, sie haben sich später genug rächen dürfen, ich möcht nicht wissen, wie viele von denen, die da bibbernd vor Angst standen wie Kinder am Strand bei Sturmwarnung, wenn die Brecher aufeinanderschlagen, wie viele von denen zwei Jahre später am Winterfeldtplatz ihren Frust rausgelassen und die Leute gnadenlos zusammengekloppt haben, als die Verhältnisse anders aussahen und die Taktik geplant war wie im Krieg.
Aber der Abend am Kotti, das war kein Krieg, das war Revolution, und wenn es jemand gegeben hätte, der damals an jenem Abend die Sache in die Hand genommen hätte, ungelogen, ganz SO 36 hätte sich zur freien Zone erklärt, denn weißt du, das unglaubliche war, die grauen Theorien wurden Realität, die Menschen waren tatsächlich traurig und allein und haßerfüllt und wahnsinnig und eben doch nicht zufrieden mit Glotze und Mallorca und Stütze und Biersuff, kein einziger war es, und da brach es heraus, aber da kam keiner, der es in die Hand nahm, denn so waren die Zeiten nicht mehr, jetzt ging es um individualistische Anarchie, und das ist eben nichts weiter als kaputthauen, wenn du kannst, und am nächsten Tag selbst aufgemischt werden, kleine Explosionen, die den Tag nicht überdauern.
Schließlich knackten wir die Panzerscheiben der Deutschen Bank mit Pickeln
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