Der Saubere Tod
Abend? Und da hatte sie es gesagt, den Satz, der Johann jetzt wieder einfiel. Was wolltest du mit ihm tun? Rire, rire, rire et baiser. Lachen, lachen, lachen und ficken. Und dann fügte sie hinzu: Wenn er Lust hätte, mit mir zu ficken.
Erst am nächsten Tag konnte Johann weiterlesen und las das Buch zu Ende. Auf einer der letzten Seiten endlich stand der Schlüsselsatz: Will ich eine Stimmung der Gewalt erzeugen, so kann ich das zu jeder Zeit. Ich kann zum Beispiel den Erstbesten auf der Straße erschießen. Das kann jeder tun ...
Der Satz hallte in seinem Kopf nach. Das kann jeder tun, das kann jeder tun, das kann jeder tun, und mit jedem Male klang es natürlicher, heller und schöner, und Johann wurde wieder eins mit dem Buch und zum erstenmal, so schien es ihm, eins mit sich selbst.
In den folgenden Tagen streichelte er oft die glatte Kühle des schweren Messers, das er aus seinem Versteck in der vergilbten BZ in der unteren Schublade des Nachttisches herausholte, und dachte an die Sätze: Auf den Menschen, der die Waffe hält, kommt es an und nicht auf die Waffe. Die Aufregung verursachte ihm eine Art Rückfall, und einige Tage lang übergab sich Johann ständig, schwitzte und lag schwach im Bett. Danach begann langsam aber stetig der Wiederaufbau.
Johann richtete sich in seiner fremden kühlen Höhe ein, genoß die Sauberkeit des Zimmers und des Bettes und vermied den Kontakt zu den Schwestern und anderen Patienten, zu allem, was ihm stickig und schmutzig erschien, und dazu gehörten auch Worte, Worte, die jemand zusammen mit seinem Atem ihm ins Gesicht blies. Der Dreck, das waren die anderen, Masse ohne Bedeutung, die man in Aufruhr bringen konnte, wenn man sie mit dem Tod konfrontierte, ihrem Tod, den konnten sie nicht mehr wegreden, gebunden ans Reden, wie sie waren, das war ganz einfach, jeder konnte das, einfach wie Licht ausknipsen, wie den Kragen öffnen, weil es zu heiß war, und die anderen würden sich umdrehen und einen ansehen und auf den blicken, der da plötzlich umgefallen war, lustig war das, einer fiel um, und es gab ihn nicht mehr, er wurde weggeräumt, die Szeneriewürde wieder aufgeräumt werden, alle würden ihn anschauen und nichts verstehen, ja was gab es da auch zu verstehen, es war das einfachste von der Welt und auch das ehrlichste, und von daher würde man es dann vielleicht doch wieder kapieren. Jemanden töten war eine Sache wie essen, trinken und ausgehen, es kam auf den Tag an, und darüber hinaus gab es nichts, es gab den Tag, nichts als den einzelnen Tag, der ausgelebt sein wollte, der kein Ende wollte, dessen Ende man hinausschob auf der Suche nach Spaß. Und keinen Schmutz mehr. Und keine gezügelte Ehrlichkeit mehr, das hieß keine zurückgehaltene Gewalt. Peter hatte gemeint, er wäre zu spät gekommen, die Zeiten der ungezügelten gewalttätigen Ehrlichkeit, des Spaßes wären vorbei; nun vielleicht, er würde dem nachgehen. Wenn er allein war, desto besser, wenn er neu war, desto besser. Rire, rire, rire et tuer, lachen, lachen, lachen und töten, das klang auch nicht schlecht. Nicht jetzt, nicht im Moment, dies war nicht das Wetter, das war nicht der Ort noch die Zeit. Johann wußte, erst die Nähe von Menschen würde seine Kühle entzünden. Vorerst begnügte er sich damit, die Kälte des Messers auf seiner Haut zu spüren, seinen Glanz im Licht der Lampe zu genießen, seine konzentrierte Glätte, seine Form, seine ironische Spitze zu verinnerlichen, sein Gewicht zu fühlen, das ihm Wichtigkeit verlieh. Johanns Universum zog sich zusammen auf die fremde Verheißung, im Laufe eines Tages, der für sich selbst sorgte und kein Morgen kannte, etwas zu töten, im milchigen Mittagslicht eines rosigen Wintertages.
Seit einigen Tagen war der rote Park unter einer Schneedecke verschwunden. Es war kalt draußen, und wenn Johann das Fenster öffnete, spürte er die Luft eisig und trocken. Morgens schien die Sonne falb auf violettem Grund, am frühen Nachmittag begann sie zu schmelzen, eine Kugel Vanilleeis, die auf der Straße zerläuft. Abends begann es zuschneien in dicken, trockenen, festen Flocken. Am nächsten Morgen kam eine Schwester in Johanns Zimmer und wünschte ihm fröhliche Weihnachten. Der Doktor kam gegen zehn Uhr und wünschte ebenfalls fröhliche Weihnachten. Er setzte sich auf den Bettrand und erklärte, daß bislang noch immer kein Hepatitis- B-Antigen in Johanns Blut habe nachgewiesen werden können und er persönlich deshalb eine Non- A-Non -
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