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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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und Bauhacken, aber drinnen gabs nicht viel zu holen, nur ein bißchen zu zerfetzen und umzuwerfen, ich habe so eine kleine Rechenmaschine mitgehen lassen, und dann, gegen elf, war der Spuk vorbei, sie hatten uns alles machen lassen, und der Kotti sah aus wie ein unaufgeräumtes Kinderzimmer, und mitten auf der leeren Adalbertstraßestand wie blöde die Barrikade, und davor und dahinter Leute, die sie noch einmal betrachteten, eine Sandburg, wenn man abends vom Strand nach Hause geht, und dann zerstreute sich wieder alles.
    Es war ein Fick ohne Liebe, danach willst du nur noch zu Hause und allein sein. Aber es war das erste Mal und auch das beste. Danach kämpfte alles schon auf verlorenem Posten, der Sieg war Trug gewesen, denn es hatte keinen Gegner gegeben, und dann kam das Rollback. Und zum Schluß kamen die Wessis und machten Kriegstourismus, weil Beirut zu weit ist und dort auch scharf geschossen wird.
    Im Sommer als ich ankam, sagte Johann, redete auch einer von der Freien Republik Kreuzberg.
    Lachhaft, schnappte Maria. Das war eine Sternschnuppe, eine Vision, die einen Abend lang, vier Stunden leuchtete, aber keiner griff danach. Wie willst du Sternschnuppen auch festhalten?
    Johann antwortete nicht.
    Aber damals war ich nicht oft in Kreuzberg. Beim Atonalfestival war ich hier. Es gab hier von allem ein erstes Mal und danach noch ein paar matte Kopien, und dann war Schluß. Aber das Atonal im Esso, das war echtes Kreuzberg, wie es zu dieser Zeit war.
    Maria unterbrach sich. Ich rede wie eine Fremdenführerin. Wozu interessiert dich der alte Kram überhaupt?
    Ich muß wissen, was war, sagte Johann. Ich muß wissen, was vor mir passiert ist, bevor es mich gab. Ich brauch Boden unter den Füßen.
    Bevor es dich gab, sagte Maria. Natürlich gab es dich, du warst nur zufällig nicht in Berlin, wie ungefähr vier Milliarden andere Leute auch.
    Es geht darum, ob es mich hätte geben können, ob ich hätte dabeisein können, ob –
    Ob du dabeigewesen wärst, ergänzte Maria. MüßigeFrage, da dus nicht warst. Aber wenn du dir eine Vergangenheit bauen willst, an mir solls nicht liegen.
    Ich will keine Abenteuermärchen hören! sagte Johann.
    Maria schüttelte den Kopf. Ich erzähle, woran ich mich erinnere.
    Das Atonal. Warte, wer spielte? Die Neubauten, die waren damals noch Kreuzberger Geheimtip, und die Tödliche Doris und Borsig. Gott, was für Namen! Zerstörermusik, Blutpogo. Genau das, was auf den Straßen passierte. Oder vielmehr nicht passierte. Aber in den Köpfen der Leute. Sicherheitsnadeln im Hirn, Glasscherben im Herz, Vorschlaghämmer auf die Ohren.
    Das Esso war wegen Lärmbelästigung ja eigentlich schon lange geschlossen und zum türkischen Nachbarschaftsheim geworden. Und dann drei Tage lang Festival, und danach mußten sie natürlich sofort wieder schließen.
    Es war heiß dort und stank, denn es gab nirgends Abzüge, und die Klos standen unter Wasser, Bierdosen flogen und rollten auf dem Boden, Paderborner, Paderborner und die blutigen Köpfe und der Lärm, der dich totschlug in dem schwarzen Loch, und draußen auf der O-Straße heulten sie wie die Wölfe oder prügelten sich oder schlugen grundlos auf irgendwen ein und dann wieder hinein, wo die Musik auf sie einhämmerte, es war einfach, wie wenn du zum ersten Mal Scheiße schreist, alle schrien laut Scheiße, oder Ficken, sie schrien und schrien es, und es war laut und neu und schien etwas zu bedeuten, es war die kürzeste Chiffre, und das war eigentlich alles.
    Nein, sagte Johann.
    Natürlich nicht, sagte Maria. Natürlich nicht.
     
    Später saßen sie in Johanns Zimmer. Es war sauber, und die weißen Laken glänzten schneeig in der Wintersonne, die klar und scharf hinter dem Fenster stand. Auch an der Wandhinter der Matratze hing ein Laken wie ein Segel. An der anderen Wand stand eine aufgebockte Glasplatte. Darauf lag ein polierter onyxfarbener Gasrevolver, ein silberschimmernder Schlagring und ein mattglänzender Totschläger. An einem Haken in der weißen Wand baumelten Peters Messer und ein weiterer Dolch, schlanker, spitzer als der andere, sein feminines Gegenstück. Die Waffen, unbenutzt, glänzten sauber. Maria betrachtete sie, ohne eine Miene zu verziehen.
    Sie erzählte von ihrem Leben in der Danckelmannstraße. Es war ein ganzer besetzter Block gewesen, neun Häuser. Auf der Vorderseite wohnten die Verhandler, die mit der Neuen Heimat sprachen, in den Hinterhäusern hausten die Nichtverhandler, und dort, im Haus Deutsche

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