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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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Ich weiß nicht, worauf das hinauslaufen soll.
    Du siehst noch genauso aus, willst du sehn, was ich mitgebracht habe?
    Peter rollte die Zeitung auf. Darin lag ein langes Messer, spitz, zweischneidig, es glänzte kühl und stählern und schimmerte silbern wie ein Schmuckstück, es hatte einen dunklen Griff mit drei hellen metallenen Schrauben. Johann nahm es in die Hand. Das Messer war viel schwerer, als er vermutet hatte, dick, massiv und kalt, und der Griff erwärmte sich in seiner Hand.
    Die Bescherung ist noch nicht zu Ende, sagte Peter und lächelte, als er Johanns abwesendes Gesicht sah. Johann wog noch immer das Messer in seiner Hand. Peter stand auf und öffnete das Fenster.
    Komm hierher, sagte er und zog einen Joint unter dem Kittel hervor. Sie lehnten an der Fensterbank, sogen den Rauch und das Aroma ein und blickten hinaus in den graubraunen Park mit dem roten Gras und den weißlichen Kieswegen. Hast du eigentlich jemals eine Straßenschlacht miterlebt? fragte Peter. Einen Stein geworfen, gehört wie er aufprallt, bist du mal davongelaufen, weil sie hinter dir her sind, den Knüppel erhoben, mit diesen verzerrten Gesichtern, oder das Gefühl davor, wenn du spürst, jetzt bricht es los, oder wenn direkt neben dir jemand geschlagen und getreten wird, oder der Luftzug, wenn jemand nach dir schlägt, das sind Momente, wo du aufwachst. Gewalt, echte Gewalt zwischen Menschen, das siehst du, das ist Wahrheit. Wenn du in die Augen von jemandem blickst, der dich umbringen will, da ist alles drin, keine Lüge mehr, keine Käfige mehr, das ist der Moment von Nähe, Zuneigung fast, Wildheit, endlich wieder, ehrlich ist es, wahr, Leben ist es.
    Ich glaube, ein Mensch verändert sich wirklich, wenn du ihm Gewalt antust, sagte Johann, ein Messer zwischen den Rippen, das verändert wirklich, das ist nicht mehr nur traurigoder unangenehm, das ist eine echte Veränderung, die kann man nicht mehr wegreden.
    Ach ja, ich habe noch etwas für dich, sagte Peter. Ein Buch. Es hat einen schönen Titel.
    Er gab Johann das Buch: Jacques Mesrine. Der Todestrieb. Lebensbericht eines Staatsfeindes.
    Der Todestrieb, las er laut.
    Johann hielt das Buch in den Händen. Und dir, wie geht es dir?
    Ich merke, daß meine Munition ausgeht. Ich bin bald wehrlos. Seh schon den Boden durchschimmern. Würde aber gern noch was sehen. Nichts mehr machen. Was Großes.
    Wie eine Straßenschlacht? fragte Johann.
    Ach, das ist doch gar nichts. Peter verkleinerte die Erinnerungen mit der Hand. Ein kleiner Rülpser. Die vergangenen Zeiten, die verdaut werden, stoßen ein bißchen auf. Aber das ist lange vorbei. Das ist wirklich vorbei. Es ist überall so still wie hier. So wie der Park da draußen. So ist es überall. Du bist zu spät hierhergekommen. Die Vorstellung ist aus. Du kannst noch lange im Saal rumhocken, da wird dir nichts mehr geboten. Wie du das überleben kannst, ist mir ohnehin völlig schleierhaft. Eine Vorstellung, und du kommst erst, wenn sie schon aus ist. Sie werden sie nicht wiederholen für einen hungrigen sehnsüchtigen Zuspätkommer.
    Es sei denn, ich stecke das ganze Theater an, dachte Johann. Weiße Flammen, Hitze, Flammentod, das ist Leben: die sauberste Form zu sterben, weißglühend in einem Rausch, sauber, ohne Rückstände, alles hochgehen lassen, ein sauberer Tod.
    Ein sauberer Tod, sagte er laut, und Peter lächelte, als hätte er dieselben Gedanken bereits lange zuvor gedacht und für sich selbst als unbrauchbar verworfen.
     
    Gegen die Leere der Tage nach Peters Besuch wagte Johann sich mißtrauisch an das Buch heran. Aber bereits auf der ersten Seite packte es ihn gegen seinen Willen, zog ihn an sich, verschlang ihn und begann, ihn zu lesen. In dem ewig dämmrigen Krankenzimmer leuchtete es wie Tageslicht, leuchtete verborgene Winkel aus, es machte Johann schaudern, erinnerte ihn, drängte ihn zu leben, lebte, und Johann mußte sich immer wieder freimachen und sich zurückrufen, daß er keinen Krimi, sondern die Beschreibung eines wahren Lebens las.
    Alles, was sich in ihm gesammelt und gestaut hatte, kanalisierte das Buch und schwemmte es mit sich fort, hin zu einer endlichen Erkenntnis, einer Lösung, der Öffnung, die sein schmerzender Kopf und sein mürber Körper suchten, hin zu der ersehnten Antwort, die alles lösen und befreien würde, die alles vor den Anfang zurückwälzte, dorthin, wo er gewesen, bevor alles begonnen hatte. Immer wieder legte er das Buch aus den Händen, denn nie würde er es ihm gleichtun,

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