Der Saubere Tod
Himmel, unter uns, morgen früh werd ich aufwachen und hoffen, daß ich das alles nur geträumt hab.
Peter sah in das Gesicht des aufgebrachten Barbesitzers und erkannte ihn wieder. Es war Henna. Auch der erkannte Peter. Henna war verändert, sah elegant aus, hatte sich seiner Kundschaft angeglichen, und man merkte ihm an, daß es ihm gutging.
Das ist deine Kneipe? fragte Peter.
Ja, seit zwei Monaten. Es läuft nicht schlecht. Sieht so aus, als hätte ichs geschafft. Und du? Er warf einen Blick auf Johann und die Touristen.
Peter drehte sich um und ging. Den Rest des Abends kümmerte er sich nur um die Westdeutschen, brachte ihnen Getränke und wartete jedesmal schweigend ab, bis sie genug gesehen hatten. Er stand abseits zusammen mit Johann, und in stroboskoperleuchteten Spiegelwänden begegneten sie ihren Abbildern des vergangenen Jahres wieder, schwarzweißen Gestalten, erstarrt im Lärm und in der Bewegung, zwei betrogene Betrüger, lächerliche Exponate einer veralteten Werbekampagne, Strohmänner eines Lebensschwindels.
Draußen auf der Straße kamen alle wieder zu Atem. Die Touristen waren aufgedreht, beschwipst, wenn auch nicht restlos begeistert.
Ganz schön verrückt – ja, aber eigentlich auch nicht soo viel anders als bei uns – ich bin jetzt jedenfalls müde – aber die Gestalten, diese Gestalten – ja, das ist schon extremer als bei uns – na, was willst du, dafür ist es schließlich Berlin. Peter und Johann standen schweigend ein wenig abseits.
Können wir euch irgendwo absetzen, wir machen Schluß für heute, sagte einer der jungen Männer.
Peter schüttelte den Kopf.
War gar nicht schlecht, was ihr uns da geboten habt. Allein findet man so was ja nicht.
Peter schüttelte den Kopf.
Und was macht ihr jetzt? fragte der Tourist.
Wir machen weiter, sagte Peter.
Die anderen waren schon in die Autos gestiegen. Der letzte junge Mann zögerte noch etwas.
Ich weiß nicht, wir haben euch ja vielleicht euer Programm durcheinandergebracht und euch ganz schön ausgenutzt heute nacht.
Das geht in Ordnung, sagte Peter.
Trotzdem, hier, sagte der junge Mann, drückte Peter einen Fünfzigmarkschein in die Hand und schloß sie mit seinen Händen.
Nochmals Dankeschön für Berlin.
Dann drehte er sich um und lief zum Auto.
Peter und Johann gingen schweigend durch die stille Nacht. Die grauen Quader der Häuser zogen sich vor ihnen zurück und leugneten jede Verheißung, die zu anderen Zeiten von ihnen ausgegangen war. Die Steinfronten zu beiden Seiten wandten sich ab, wölbten die leere hallende Straße empor, die nun direkt unter dem schwarzen Himmel entlangführte, kalt und von fernem Neonschimmer erhellt, abgeschnitten und losgelöst von der Biederkeit eines kollektiven Schlummers, der endlich seine Selbstgenügsamkeit wiedergefunden hatte.
Auf dem Kneipenschiff Pik As, das im zugefrorenen Landwehrkanal vertäut lag, brannte noch Licht. Peter und Johann betraten den niedrigen dunkel getäfelten Raum, der nach Bratwürsten roch, drängten sich an der Theke mit Zapfhahn und matt erleuchtetem Kuchenbuffet vorbei und setzten sich an einen Tisch, der schwach von einer Elektrokerze erhellt wurde, die am Fensterrahmen hing. Es waren nur noch einalter Mann da, der ständig über seinem Kaffee einnickte, und zwei keifende Frauen, die nach dem türkischen Ober riefen, um eine allerletzte Lage Bier und Underberg zu bestellen. Manchmal knirschte das Eis leise am Schiffsrumpf.
Peter trank Bier. Johann schwieg und blickte gegen das beschlagene Fenster.
Ende des Wegs, sagte Peter. Weißt du, daß ich letzthin öfter vom Sterben geträumt habe. Entsetzliche Träume. Ich weiß aber nicht, was ich dagegen tun soll. Abenteuer sind aus. Das ist vorbei. Das letzte ist Mord oder Tod. Das letzte Ernsthafte, das man übriggelassen hat, jenseits all der Parties, die man uns zugestand und von denen wir immer früher weggingen, um unsere eigenen zu suchen.
Er verfiel wieder in Schweigen. Dann sah er Johann an.
Dein Gefühl, zu spät zu kommen, diese Feigheit, eine Dummheit zu machen, weil andere dich auslachen könnten, und dich dann zu schämen, wenn die verpaßte Dummheit sich als große Dummheit erweist, über die die Welt spricht, hängt dir wie ein Klotz am Bein.
Der Kellner kam und bat, die Rechnung überreichen zu dürfen, weil er schließen wolle. Peter hielt ihm den Fünfzigmarkschein hin und sagte, er solle den Rest behalten.
Trotz allem, Johann, hat es mich erschreckt, daß du den guten Anatol einfach
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