Der Schachspieler
nächster Nähe zu sehen bekommen.«
»Sechzig Sekunden?«
»Nicht ganz. Fünfundfünfzig.«
»Was zum Teufel?«
Schweigen.
»Was wollen Sie hören?«
»Noch dreißig Sekunden.«
»Was soll das alles?«
»Ganz einfach: Sie haben noch fünfundzwanzig Sekunden zu leben, Agent Cady.«
Cadys Mund wurde trocken. Er sah nur noch die Pistole in der Hand des Chessman. Er musste den Verrückten ganz schnell irgendwie beeindrucken – nur hatte er keine Ahnung, womit.
»Zehn Sekunden.«
Stille.
»Drei Sekunden. Zwei. Eine. Sie verlieren …«
»Egal, was Sie tun, Braun, es bringt Ihnen Marly nicht zurück.«
Die Pistole blieb auf Cadys Gesicht gerichtet, doch der Kopf der Schattengestalt zuckte ganz kurz.
»Um sie geht es doch bei dem ganzen Theater, bei dieser Mordserie.«
»Hmmm«, meinte die Schattengestalt. »Ich bin ein Romantiker.«
»Dane Schaeffer war ein genialer Schachzug. Wirklich perfekt.«
»Sprechen Sie weiter«, flüsterte der Fremde.
»Durch Dane Schaeffers Tod wurden Sie wiedergeboren: Schaeffer wurde zum Chessman, und das Spiel war zu Ende. Schachmatt. In Schaeffers Blut wurden Drogen gefunden. Wir nahmen an, dass er sie genommen hatte, um beim Ertrinken nicht leiden zu müssen, doch in Wahrheit fiel es Ihnen so leichter, ihn umzubringen, nicht wahr, Braun? Sie hielten Schaeffer unter Wasser, bis er tot war, dann ließen Sie ihn treiben.«
Die dunkle Gestalt saß regungslos da.
»Was ist in der Nacht damals am Snow Goose Lake geschehen?«
»Ich glaube, Sie wissen es.«
»Was haben Patrick Farris und die Zalentines Marly Kelch angetan?«
»Das erzähle ich Ihnen vielleicht ein andermal.«
»Sie haben mich damals halbtot geschlagen.« Cady hielt inne und stellte dann die Frage, die ihm seit jenem Tag immer wieder durch den Kopf gegangen war: »Warum haben Sie mich nicht getötet?«
»Ein andermal, vielleicht.«
»Sie haben uns vom Haus der Robillards beobachtet. Sie wollten Farris in dieser Nacht töten, nachdem ich gegangen war, doch dann bekamen Sie mit, dass ich den König im Aquarium bemerkt hatte. Sie wussten, was ich denke. Und Ihnen war sofort klar, dass Sie nicht mehr an ihn herankommen, wenn er festgenommen wird.«
»Nicht schlecht. Ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.«
Und schon war der Chessman verschwunden, durch die einzige Tür des Hotelzimmers. Alles, was er zurückließ, war Cadys Glock 22 unter einem leeren Lehnstuhl. Cady schnappte sich das Telefon beim Bett und hob es ans Ohr. Tot. Zwei Sekunden später riss er die Zimmertür auf.
Auf dem Flur war niemand.
18
E r war in Ihrem Zimmer?«
Cady traf sich mit Special Agent Evans auf der Straße vor dem Haus der Kellervicks. Es wimmelte nur so von Polizei, Rechtsmedizinern, gaffenden Nachbarn und FBI-Agenten. Cady ging mit Evans ein paar Schritte beiseite.
»Er hat mich aus dem Schlaf gerissen, kurz nach drei, ungefähr die Zeit, in der der KGB früher kam, um Dissidenten abzuholen.«
»Woher hat er gewusst, wo Sie wohnen?«
»Wahrscheinlich hat er in einigen Hotels angerufen, die für ihn in Frage kamen, bis er das richtige erwischte.«
»Vielleicht haben ihn die Sicherheitskameras erwischt.«
»Er ist über die Osttreppe und eine Seitentür verschwunden. Er wusste genau, wo die Kameras sind. Man sieht nur eine dunkle Gestalt im Trenchcoat.«
»Das bestätigt jedenfalls, dass er noch lebt.«
»Und wie.«
»Dann war es doch kein Copycat-Killer.«
»Er bestreitet, Gottlieb umgebracht zu haben.«
»Sie glauben ihm?«
»Ich glaube gar nichts, Agent Evans, aber der Hurensohn spielt mit uns, und das können wir gegen ihn verwenden.«
»Dann bleiben Sie an Bord?«
»Fürs Erste, ja.« Es war kurz nach Mittag, und er hatte schon ein volles Tagespensum hinter sich. Nachdem er ins Hoover Building gefahren war, um von dem Vorfall zu berichten, hatte ihn Jund sofort zum Flughafen geschickt, damit er nach Boston flog und sich dort mit Agent Evans traf. »Was ist hier passiert?«
»Elaine Kellervick, achtunddreißig, weiß, wurde erstochen in ihrem Haus aufgefunden.« Agent Evans deutete mit einem Kopfnicken zur Tür. Eine Nachbarin, mit der das Opfer jeden Morgen joggen ging, hat sie gefunden. Sie klingelte, und als sich niemand meldete, warf sie einen Blick durchs Fenster hinein, sah die Leiche und rief 911 mit ihrem Handy.«
»Hat die Frau allein gelebt?«
»Ihr Mann, Stephen Kellervick, war auf einer Chemietechnikkonferenz in Colorado. Mr. Kellervick ist Geschäftsführer bei
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