Der Schachspieler
nicht, was Schaeffer dazu gebracht hat. Und ich weiß auch nicht, wie Ihre Tochter gestorben ist.«
»Aber Sie glauben auch nicht, dass sie einfach so ertrunken ist?«
Cady wurde bewusst, dass er schon genug gesagt hatte, und schwieg.
Mrs. Kelch zuckte die Achseln. »Versprechen Sie mir etwas, Agent Cady?«
Cady nickte.
»Versprechen Sie, mir alles zu sagen, was Sie herausfinden? Sie dürfen es mir nicht verschweigen, weil Sie glauben, ich hätte schon genug durchgemacht. Ich muss die Wahrheit wissen.«
»Was ich auch über Marly herausfinde – sowohl Gutes wie Schlechtes –, werde ich Ihnen sagen. Das verspreche ich.«
»Gut.« Dorsey Kelch tupfte sich mit einem Kleenex die Augen ab. »Sie wollten mir noch ein paar Fragen stellen. Was möchten Sie wissen?«
»Zuerst einmal: War Dane Schaeffer auf Marlys Begräbnis?«
»Er und sein Vater waren da.«
»Haben sie irgendetwas gesagt?«
»Dass es ihnen sehr leidtut. Sonst erinnere ich mich an nichts, aber ich hatte auch Valium genommen, um es durchzustehen.«
»War Bret Ingram da?«
»Ja. Der Junge war so fertig, er hat die ganze Zeit geweint. Darum hab ich auch nie etwas anderes gedacht, als dass es ein tragischer Unfall war, bis Sie zehn Jahre später auftauchten.«
»Hat Ingram vielleicht irgendwas gesagt?«
»Er stammelte irgendwas unter Tränen, ich hab ihn nicht verstanden. Aber meine Gedanken waren an dem Tag auch woanders. Ich hab mich dann umgedreht und bin gegangen.«
»Ich wollte Ihnen noch ein paar Fragen über die Jungen stellen, die Marly gekannt hat.«
»Ich sehe, Sie haben sich Ted Thorsen notiert, Marlys ersten Freund in der Highschool«, sagte Dorsey lächelnd. »Ted war so linkisch und nervös, wenn er mit Marly zusammen war, er hat richtig gezittert. Pete und mir war das richtig peinlich.«
Dorsey Kelch war seit einem Jahr im Ruhestand, nachdem sie fünfunddreißig Jahre an der Reading Central Catholic High School Englisch unterrichtet hatte. Dort hatte sie auch ihren Mann Peter Kelch kennengelernt, der das Schulorchester geleitet hatte, bis er mit Amyotropher Lateralsklerose, einer degenerativen Erkrankung des Nervensystems, in Frühpension gehen musste. Peter Kelch starb sechs Jahre später an Atemversagen, in dem Sommer, als Marly die Highschool abschloss.
»Ich sehe, Sie haben sich auch Scott Dentinger herausgeschrieben, einen guten Freund aus dem Ferienlager der Kirche. Im Schuljahr waren sie nur Brieffreunde. Scott ist heute Priester. Dann gibt es noch ihre Freunde aus dem Debattierclub und die Schauspieler aus den Stücken, in denen sie mitspielte.«
»Wer ist dieser junge Mann?« Cady hatte das Fotoalbum aufgeschlagen vor sich liegen: Ein Foto stammte von einer Geburtstagsparty draußen im Garten. Marly strahlte in die Kamera, höchstens vierzehn Jahre alt. Ein kleiner blonder Junge stand im Hintergrund bei der Schaukel und starrte sie mit einem breiten Lächeln im Gesicht an.
Dorsey Kelch lächelte. »Das ist der kleine Jakey Westlow, so ein süßer Junge. Marly hat oft auf ihn aufgepasst, als sie ungefähr zehn war.«
»Was macht Westlow heute?«
»Auch so eine traurige Geschichte. Jakeys Mutter Lorraine hat den Jungen sehr spät bekommen, und der Vater hat sich nicht um ihn gekümmert.«
»Das muss hart sein.«
»War es auch. Als Lorraine Nierenkrebs bekam, kümmerte sich Jakey um sie. Sie war alles, was er hatte, und als sie starb, kam er nicht drüber hinweg.« Dorsey Kelch wischte sich die Augen mit dem Taschentuch ab. »Er hat sich das Leben genommen.«
Cady trank seinen grünen Tee aus und blätterte im Fotoalbum weiter, um Mrs. Kelch Gelegenheit zu geben, sich wieder zu sammeln. »Das ist eine traurige Geschichte.«
»Wie ist der Tee?«
»Ausgezeichnet, Ma’am.«
»Bitte, nennen Sie mich Dorsey.«
Cady nickte. »Wer ist dieser junge Mann im Footballtrikot?«
»Das ist Eric Braun. Sie sind in der Highschool hin und wieder miteinander ausgegangen. Eric war Ballkönig in dem Jahr, als Marly Ballkönigin wurde.«
»Was macht er heute?«
»Die Brauns sind schon vor Jahren nach Florida gezogen, trotzdem war Eric auf Marlys Begräbnis. Er war damals bei den Marines, glaube ich, jedenfalls irgendwo beim Militär.«
Cady kritzelte Brauns Namen in sein Notizbuch, um ihn ebenso zu überprüfen wie die anderen. Er blätterte die restlichen Seiten des Albums durch und legte es schließlich sanft auf den Couchtisch.
»Ihre Tochter war sehr schön, Dorsey.«
»Nicht nur äußerlich, Agent Cady«, sagte Mrs.
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